Ruht das Licht
dann schloss sie die Tür hinter uns.
»Warum zum Teufel hast du dich so früh zurückverwandelt?«, wollte sie wissen.
»Du weißt, was ich bin?«, erwiderte ich. Blöde Frage.
»Ach, bitte«, stöhnte sie und aus ihrer Stimme triefte dermaßen viel Verachtung, dass es mich fast schon wieder anmachte. Keiner – keiner – redete so mit mir. »Tja, entweder bist du einer von Sams Jungs oder ein dahergelaufener Perverser, der nach Hund stinkt.«
»Sam? Beck«, sagte ich verwirrt.
»Nein, nicht Beck. Von jetzt an Sam«, korrigierte Isabel mich. »Aber ist ja auch egal. Nicht egal ist dagegen, dass du nackt bist und in meinem Haus, dabei solltest du im Moment definitiv ein Wolf sein. Verdammt, warum bist du kein Wolf? Und wie heißt du überhaupt?«
Einen kurzen, aberwitzigen Moment lang hätte ich es ihr fast gesagt.
ISABEL
Einen Moment lang schien sein Blick an irgendeinen anderen, unbestimmten Ort zu flackern, die erste Regung, die sein Gesicht preisgab, seit ich ihn bei seinem Nacktauftritt auf der Galerie erwischt hatte. Dann setzte er wieder dieses halb hämische Grinsen auf und antwortete: »Cole.«
Als wäre es ein Geschenk.
Ich warf es ihm vor die Füße. »Tja, und warum bitte schön bist du kein Wolf, Cole?«
»Weil ich dich sonst nicht kennengelernt hätte?«, entgegnete er.
»Netter Versuch«, erwiderte ich, aber ich spürte, wie sich ein zynisches Lächeln auf meinem Gesicht breitmachen wollte. Ich hatte genug Erfahrung im Flirten, um sein Verhalten sofort zu identifizieren. Außerdem schien er extrem überzeugt von sich. Statt unsicher zu werden, während wir redeten, griff er mit beiden Händen nach dem Duschkopf über sich und streckte seinen zugegebenermaßen ziemlich wohlgeformten Körper. Dabei musterte er mich.
»Warum hast du deine Mom angelogen?«, fragte er. »Hättest du das auch gemacht, wenn ich ein schwabbeliger Immobilienmakler wäre, der neuerdings zum Werwolf wird?«
»Vermutlich nicht. Mit Liebenswürdigkeit hab ich nicht besonders viel am Hut.« Womit ich allerdings sehr viel mehr am Hut hatte, war die Art, wie er die Arme über den Kopf streckte, wodurch sich seine Schultern spannten und die Brustmuskeln hervortraten. Ich versuchte mich auf seine arrogant geschwungenen Lippen zu konzentrieren. »Aber ich will mal nicht so sein. Du brauchst was zum Anziehen.«
Sein Mund verzog sich noch ein bisschen mehr. »Ach, das fällt dir aber früh ein.«
Ich schenkte ihm ein giftiges Lächeln. »Ja, dieses Elend sollte man wirklich so schnell wie möglich bedecken.«
Er stieß einen anerkennenden Pfiff aus. »Böse.«
Ich zuckte mit den Schultern. »Bleib einfach hier und tu dir nicht weh, wenn’s geht. Ich bin gleich wieder da.«
Ich schloss die Badezimmertür hinter mir und ging durch den Flur zu dem Zimmer, das meinem Bruder gehört hatte. Vor der Tür zögerte ich nur einen winzigen Augenblick, dann ging ich hinein.
Er war jetzt so lange tot, dass ich mich nicht mehr wie ein Eindringling fühlte, wenn ich sein Zimmer betrat. Außerdem sah es auch gar nicht mehr aus wie sein Zimmer. Meine Mutter hatte auf Anraten ihres letzten Therapeuten viele von seinen Sachen in Kisten gepackt und sie dann auf Anraten ihres aktuellen Therapeuten hier stehen lassen. Sein gesamter Sportkram war in den Kartons verschwunden, genauso wie sein riesiges selbst gebautes Lautsprechersystem. Wenn diese Sachen weg waren, blieb von Jack eigentlich nicht mehr viel übrig.
Ich ging durch das dunkle Zimmer und stieß mir auf dem Weg zur Stehlampe das Schienbein an einer der Therapiekisten. Leise fluchend knipste ich das Licht an und dachte zum ersten Mal darüber nach, was ich hier gerade vorhatte: die Sachen meines toten Bruders nach Kleidung für einen umwerfend scharfen, wenn auch ziemlich arroganten Werwolf zu durchwühlen, der nackt in meinem Badezimmer stand, nachdem ich meiner Mutter weisgemacht hatte, mit ihm geschlafen zu haben.
Vielleicht hatte sie ja recht und ich brauchte wirklich eine Therapie.
Ich stakste im Slalom um die Kisten herum und riss die Schranktür auf. Ein Schwall von Jack-Geruch schlug mir entgegen – eigentlich ganz schön widerlich. Zum Teil nicht gewaschene Klamotten, Männershampoo und alte Schuhe. Doch eine Sekunde lang – nur eine einzige Sekunde – blieb ich wie angewurzelt stehen und starrte auf die dunklen Umrisse der Kleider auf den Bügeln. Dann hörte ich, wie unten, weit weg, meiner Mutter irgendwas runterfiel, und ich dachte wieder daran, dass ich ja Cole
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