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Ruht das Licht

Ruht das Licht

Titel: Ruht das Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
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»Eigentlich hättest du es mir sagen sollen.« Sie lehnte sich zurück und sah mich an. »Worüber hast du nachgedacht? Als ich reinkam?«
    »Wie es ist, Sam zu sein«, antwortete ich.
    »Schön ist das«, entgegnete Grace. Und dann lächelte sie, immer breiter, bis ich spürte, wie mein Gesichtsausdruck sich ihrem anglich. Unsere Nasen berührten sich. Schließlich trat Grace einen Schritt zurück und deutete auf ihre Gaben auf der Theke, die sich geradezu innig an meinen Bücherstapel schmiegten. »Tut mir leid, dass es nichts Tolleres ist. Hier in Mercy Falls gibt’s nicht den richtigen Laden für ein romantisches Dinner, und selbst wenn, bin ich dafür im Moment zu abgebrannt. Hast du Zeit zum Essen?«
    Ich schlüpfte an ihr vorbei zur Tür, schloss ab und drehte das »Geöffnet« -Schild um. »Na ja, jetzt ist sowieso Feierabend. Sollen wir das mit nach Hause nehmen? Oder oben essen?«
    Grace’ Blick wanderte zu den mit weinrotem Teppich ausgelegten Stufen, die hoch zur Galerie führten, und ich wusste, dass ihre Entscheidung schon längst gefallen war. »Trag du mal die Getränke, mit deinen Supermuckis«, witzelte sie. »Und ich nehm die Sandwichs, die können ja nicht so leicht kaputtgehen.«
    Ich schaltete das Licht im Erdgeschoss aus und folgte Grace mit dem Getränkehalter die Treppe hinauf. Unsere Füße machten wusch, wusch auf dem dicken Teppich, als wir auf die matt erleuchtete Galerie mit den Dachschrägen hochstiegen. Mit jedem Schritt hatte ich das Gefühl, mich weiter von der Geburtstagserinnerung von vorhin zu entfernen, um schließlich bei etwas anzulangen, was unendlich viel wirklicher war.
    »Was hast du mir denn mitgebracht?«, fragte ich.
    »Ein Geburtstagssandwich«, erwiderte Grace. »Was denn sonst?«
    Ich knipste die Tischleuchte auf einem der niedrigen Bücherregale an, acht winzige Birnchen, die ein schwaches zartrosa Licht auf das durchgesessene kleine Sofa warfen, auf dem wir beide Platz nahmen.
    Mein Geburtstagssandwich entpuppte sich als Roastbeef mit Mayonnaise, der gleiche Belag, wie Grace ihn auch auf ihrem hatte. Wir breiteten das Einwickelpapier so vor uns aus, dass sich die Ränder überlappten, und Grace summte Happy Birthday, ohne auch nur einen einzigen Ton zu treffen.
    »Happy birthday to youuuuuu«, schloss sie, mittlerweile in einer vollkommen anderen Tonart.
    »Oh, danke«, sagte ich und strich ihr sanft mit dem Finger übers Kinn. Sie lächelte mich an.
    Als wir mit unseren Sandwichs fertig waren – na ja, ich hatte meines fast aufgegessen und Grace hatte das Brot von ihrem heruntergeknabbert –, zeigte sie auf das Einwickelpapier und meinte: »Knüll das mal zusammen, dann kriegst du auch dein Geschenk.«
    Ich zog die Augenbrauen hoch und sah sie an, während sie schon ihren Rucksack vom Boden auf den Schoß hob. »Du musst mir doch nichts schenken«, protestierte ich. »Da komm ich mir immer so blöd vor.«
    »Ich will aber«, entgegnete Grace. »Jetzt mach nicht aus Schüchternheit alles kaputt. Außerdem hab ich gesagt, du sollst das Papier wegräumen!«
    Ich ließ den Kopf hängen und machte mich an die Arbeit.
    »Du mit deinen Kranichen!«, sagte sie lachend, als sie sah, dass ich den weniger verschmierten der beiden Bögen zu einem großen, labbrigen Vogel mit Subway-Logo faltete. »Wieso machst du das eigentlich immer?«
    »Die falte ich, wenn es mir gut geht. Um mich später an den Augenblick zu erinnern.« Ich hielt ihr den Subway-Kranich vor die Nase und ließ die losen, zerknitterten Flügel flattern. »Jetzt vergisst du nie, woher dieser Kranich ist.«
    Grace betrachtete den Vogel. »Davon kann mal wohl mit ziemlicher Sicherheit ausgehen.«
    »Mission erfüllt«, sagte ich leise und setzte den Kranich neben dem Sofa auf den Boden. Ich wusste, dass ich nur den Moment hinauszögerte, in dem sie mir das Geschenk geben würde. Beim Gedanken daran, dass sie extra für mich etwas besorgt hatte, bekam ich ein komisches Gefühl im Bauch. Aber Grace ließ sich nicht abwimmeln.
    »Also, mach die Augen zu«, befahl sie. Ihre Stimme klang etwas rau – erwartungsvoll, hoffnungsvoll. Innerlich betete ich: Bitte mach, dass es mir gefällt, was auch immer es ist. Ich versuchte mir schon mal einen Gesichtsausdruck zurechtzulegen, der grenzenlose Verzückung ausdrückte, damit ich ihn in jedem Fall hervorzaubern konnte, egal, was kam.
    Ich hörte, wie sie den Reißverschluss ihres Rucksacks wieder zuzog, und fühlte, wie sich das Polster bewegte, als sie sich wieder

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