Ruht das Licht
weiter mit den Fingern, kalt auf ihrer warmen Haut, über ihre Stirn und Schläfen fahren, als würde ich ihr immer noch das Haar aus dem Gesicht streichen. »Mmmhmm«, antwortete sie.
Meine Finger glitten weiter über ihre Haut. Ich hätte ihr gern gesagt, was ich dachte, zum Beispiel Du bist wunderschön und Du bist mein Engel, aber Grace bedeuteten solche Worte nun mal nicht so viel wie mir. Für sie waren das nur Wegwerfphrasen, Sätze, die sie einen Moment lang zum Lächeln brachten, aber dann einfach … verpufften, zu kitschig, um wahr zu sein. Grace waren andere Dinge wichtig: meine Hände auf ihren Wangen, mein Mund auf ihren Lippen. Diese flüchtigen Berührungen, die ihr sagten, dass ich sie liebte.
Als ich mich vorbeugte, um sie zu küssen, stieg mir eine winzige Spur dieses süßlich-nussigen Geruchs in die Nase. Von dem Wolf, den sie gefunden hatte, so schwach, dass ich es mir vielleicht auch nur einbildete. Doch allein der Gedanke daran ließ den Augenblick unvermittelt abreißen.
»Komm, wir gehen nach Hause«, forderte ich Grace auf.
»Das hier ist doch dein Zuhause«, entgegnete Grace mit einem schelmischen Lächeln. »Mir kannst du nichts vormachen.«
Aber ich stand auf und zog sie an den Händen hoch.
»Ich will lieber da sein, bevor deine Eltern kommen«, erwiderte ich. »Sie sind in letzter Zeit immer so früh da.«
»Lass uns einfach durchbrennen«, sagte Grace leichthin und bückte sich, um die Sandwich- und Getränkereste mitzunehmen. Ich hielt die Tüte auf, damit sie alles hineinwerfen konnte, und sah, wie sie den Sandwichpapierkranich aufhob, bevor wir uns auf den Weg nach unten machten.
Hand in Hand gingen wir durch den Laden, der jetzt im Dunkeln lag, und aus der Hintertür. Dort stand Grace’ weißer Mazda. Während sie sich hinters Steuer setzte, hob ich meine Handfläche an die Nase und versuchte, einen Hauch des Geruchs von vorhin zu erhaschen. Ich roch nichts, aber der Wolf in mir konnte diese Warnung, die ich bei dem Kuss gespürt hatte, nicht abschütteln.
Es war, als flüsterte mir eine leise Stimme etwas in einer fremden Sprache zu. Ein Geheimnis, das ich nicht verstehen konnte.
KAPITEL 14
SAM
Irgendetwas hatte mich geweckt. Umgeben von der matten, vertrauten Dunkelheit in Grace’ Zimmer überlegte ich, was es gewesen sein könnte. Von draußen drang kein Laut herein und der Rest des Hauses lag in dumpfer nächtlicher Stille da. Auch Grace, die mit dem Rücken zu mir lag, war still. Ich schlang meine Arme um sie und drückte meine Nase in ihren nach Seife duftenden Nacken. Die winzigen blonden Härchen dort kitzelten mich in den Nasenlöchern. Ich drehte den Kopf zur Seite und Grace seufzte im Schlaf und drängte sich dabei noch dichter an mich. Ich hätte auch schlafen sollen – am nächsten Tag stand im Laden die Inventur an –, doch irgendetwas tief in meinem Unterbewusstsein summte vor unruhiger Wachsamkeit. Also schmiegte ich mich an sie; wir lagen so eng wie zwei Löffel in der Besteckschublade, bis ihre Haut zu heiß wurde, um noch angenehm zu sein.
Ich rückte wieder ein paar Zentimeter von ihr ab und ließ eine Hand auf ihrer Seite liegen. Normalerweise konnte ich mich darauf verlassen, dass mich das sanfte Heben und Senken ihres Brustkorbs unter meiner Handfläche in den Schlaf wiegte. Aber nicht heute Nacht.
Heute Nacht konnte ich einfach nicht aufhören, daran zu denken, wie es sich angefühlt hatte, wenn ich mich verwandelte. Wie mir die Kälte über den Körper gekrochen war und eine Gänsehaut hinter sich herzog. Wie mein Magen sich wieder und wieder und wieder zu drehen schien, bis sich diese quälende Übelkeit in mir breitmachte. Der langsam explodierende Schmerz in meiner Wirbelsäule, die sich unter der Erinnerung an einen anderen Körper verformte. Meine Gedanken, die immer weiter von mir forttrieben, zerfetzt und in die neue Form meines Winterschädels gepresst.
Der Schlaf entzog sich mir immer wieder, lauerte gerade außerhalb meiner Reichweite. Meine Instinkte kribbelten unerbittlich und drängten mich, wachsam zu bleiben. Die Dunkelheit lastete schwer auf meinen Augen, während der Wolf in mir wimmerte: Irgendwas stimmt hier nicht.
Draußen begannen die Wölfe zu heulen.
GRACE
Es war zu heiß. Das Laken klebte mir an den feuchten Waden, ich schmeckte Schweiß in den Mundwinkeln. Als die Wölfe zu heulen begannen, prickelte meine Haut vor Hitze, Hunderte von winzigen Nadelstichen auf meinem Gesicht, meinen Händen. Alles schien mir
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