Ruht das Licht
Schmerzen zu bereiten: das unangenehme Gewicht der Decke, Sams kalte Hand auf meiner Hüfte, das klagende Jaulen der Wölfe draußen im Wald, die Erinnerung an Sams Finger auf meinen Schläfen, das Gefühl, wie die Haut über meinen Knochen spannte.
Ich schlief. Ich träumte. Oder ich war wach, gerade aus einem Traum aufgetaucht. Ich konnte es nicht sagen.
In meinem Kopf sah ich all die Menschen, die sich je vor meinen Augen in Wölfe verwandelt hatten: Sam, gequält und schwermütig, Beck, kraftvoll und kontrolliert, Jack, wild und unter Schmerzen, Olivia, schnell und grazil. Sie alle beobachteten mich vom Wald aus, Dutzende von Augen ruhten auf mir, der Außenseiterin, die sich nicht verwandelte.
Meine Zunge klebte an meinem Gaumen aus Sandpapier. Ich wollte mein Gesicht von dem feuchten Kissen heben, aber es war einfach zu anstrengend. Ruhelos wartete ich auf den Schlaf, doch meine Augen taten zu weh, um sie zu schließen.
Wenn ich nicht geheilt wäre, fragte ich mich, wie hätte sich wohl meine Verwandlung angefühlt? Was für ein Wolf wäre ich geworden? Ich betrachtete meine Hände und stellte sie mir dunkelgrau vor, durchzogen von Weiß und Schwarz. Ich spürte das Gewicht des Pelzes auf meinen Schultern, fühlte, wie die Übelkeit mir einen Schlag in den Magen versetzte.
Einen einzigen, wunderschönen Moment lang fühlte ich nichts als die kühle Luft in meinem Zimmer und hörte nichts außer Sams Atem neben mir. Doch dann begannen die Wölfe wieder zu heulen und mein Körper erbebte unter einer Empfindung, die mir fremd und vertraut zugleich war.
Ich würde mich verwandeln.
Ich würgte, als der Wolf in mir aufstieg, als er gegen meine Magenwand drängte, seine Klauen in mein Fleisch schlug, versuchte, mein Innerstes nach außen zu kehren.
Ich wollte es. Meine Muskeln ächzten und brannten.
Der Schmerz zerriss mich Ich hatte keine Stimme
Ich stand in Flammen
Ich sprang aus dem Bett und schüttelte meine Haut ab.
SAM
Ich fuhr aus dem Schlaf hoch, aufgeschreckt durch Grace’ Schrei. Sie schien hundert Millionen Grad heiß; so nah, dass sie mich verbrannte, aber zu weit, als dass ich sie hätte erreichen können.
»Grace!«, flüsterte ich. »Bist du wach?«
Sie zog die Decke mit sich, als sie sich herumwarf und noch einmal schrie. Im Halbdunkel sah ich nur ihre Schulter und ich streckte die Hand danach aus, umfasste ihren Arm. Sie war schweißgebadet. Ihre Haut schien unter meiner Hand zu zittern, ein eigenartiges, unregelmäßiges Flattern.
»Grace, wach auf! Alles in Ordnung mit dir?« Mein Herz klopfte so laut, dass ich fürchtete, sie nicht zu hören, wenn sie antwortete.
Sie wand sich unter meiner Berührung und bäumte sich plötzlich auf, die Augen wild, der Körper bebend und sprunghaft. Ich erkannte sie kaum wieder.
»Grace, sprich mit mir«, flüsterte ich, obwohl mein gedämpfter Ton zwecklos erschien nach ihrem Schrei.
Grace starrte verwundert auf ihre Hände, als wären sie ihr fremd. Ich legte ihr meinen Handrücken an die Stirn: Sie war beängstigend heiß, heißer, als ich jemals gedacht hatte, dass es ein Mensch werden könnte. Ich legte meine Hände an beide Seiten ihres Halses und sie erschauderte, als wären sie aus Eis.
»Ich glaube, du bist krank«, sagte ich und mir krampfte sich der Magen zusammen. »Du hast Fieber.«
Sie spreizte ihre Finger und betrachtete ihre zitternden Hände. »Ich hab geträumt – ich hab geträumt, dass ich mich verwandle. Ich dachte, ich –«
Plötzlich stieß sie ein entsetzliches Heulen aus und krümmte sich zusammen, die Arme um ihren Bauch geschlungen.
Ich wusste nicht, was ich tun sollte.
»Was ist los?«, fragte ich, ohne eine Antwort zu erwarten, und ich bekam auch keine. »Ich hol dir Paracetamol oder so was. Habt ihr das im Badezimmer?«
Sie wimmerte bloß. Es war furchtbar.
Ich beugte mich vor, um ihr ins Gesicht zu sehen, und da roch ich es.
Sie stank nach Wolf.
Wolf, Wolf, Wolf.
Grace.
Roch nach Wolf.
Das war nicht möglich. Der Geruch musste von mir kommen. Ich betete, dass er von mir kam.
Ich drehte den Kopf, drückte die Nase in meine Schulter und atmete tief ein. Ich hob eine Hand an die Nase, die, mit der ich eben ihre Stirn berührt hatte.
Wolf
Mein Herz blieb stehen.
Dann flog die Tür auf und aus dem Flur strömte Licht ins Zimmer.
»Grace?« Die Stimme ihres Vaters. Das Licht in ihrem Zimmer ging an und sein Blick zuckte zu mir, der ich neben ihr im Bett saß. » Sam?«
KAPITEL 15
GRACE
Ich sah nicht,
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