Ruht das Licht
ihm nicht einfach alles zu erklären, brachte ich gar nichts mehr heraus, also führte ich ihn nur die Treppe hinunter und zurück zu der Tür, durch die er ins Haus gelangt war.
Mir fiel auf, dass er einen winzigen Moment zögerte, als wir an der Küchentür vorbeikamen, und ich dachte daran, wie ich seine Rippen an meinen gespürt hatte. Ich wusste, ich hätte ihm etwas zu essen anbieten sollen, doch eigentlich wollte ich ihn einfach nur so schnell wie möglich loswerden. Warum war es nur so viel leichter, einen Napf für die Wölfe rauszustellen?
Vermutlich, weil Wölfe nicht arrogant lächeln konnten.
An der Hintertür blieb ich stehen und verschränkte die Arme vor der Brust. »Mein Vater schießt gern auf Wölfe«, sagte ich. »Nur zu deiner Information. Du solltest dich also besser nicht in dem Wald hinter unserem Haus rumtreiben.«
»Ich werde versuchen, daran zu denken, wenn ich wieder im Körper eines instinktgesteuerten Tieres stecke«, erwiderte Cole. »Vielen Dank auch.«
»Aber immer doch«, entgegnete ich und hielt ihm die Tür auf. Schneeregen, der fast waagerecht aus der abendlichen Dunkelheit hereinwehte, fiel auf meinen Arm.
Ich hatte einen flehenden Blick oder irgendwas anderes Mitleiderregendes erwartet, aber Cole sah mich bloß an, ein seltsames, entschlossenes Lächeln im Gesicht. Dann marschierte er geradewegs an mir vorbei nach draußen in den Schneeregen, zog mir die Tür aus der Hand und schloss sie hinter sich.
Eine ganze Weile stand ich einfach da und fluchte leise vor mich hin, wütend, dass mir das Ganze so viel ausmachte. Dann lief ich in die Küche, griff mir das Erste, worauf mein Blick fiel – ein abgepacktes Brot –, und rannte damit zurück zur Hintertür.
Schon auf dem Weg legte ich mir zurecht, was ich sagen würde – Mehr brauchst du nicht zu erwarten oder so was in der Art –, doch als ich die Tür aufriss, war Cole schon weg.
Ich schaltete die Außenbeleuchtung ein. Schwaches gelbes Licht durchflutete den frosterstarrten Garten und ließ hier und da die dünne Schneeschicht glitzern. Etwa drei Meter von der Tür entfernt sah ich die Jeans und den zerschlissenen Pullover auf der Erde liegen, wie achtlos weggeworfen.
Meine Ohren und Nase brannten vor Kälte. Ich stapfte durch den knirschenden Schnee zu dem Kleiderhaufen und besah ihn mir näher. Einer der Pulloverärmel lag ausgestreckt da, als wolle er auf den Kiefernwald weiter hinten deuten. Ich sah auf und da war er. Ein graubrauner Wolf, nur ein paar Meter von mir entfernt, starrte mich aus Coles grünen Augen an.
»Mein Bruder ist gestorben«, sagte ich zu ihm.
Der Wolf zuckte noch nicht mal mit einem Ohr; Schneeregen rieselte auf ihn herab und blieb in seinem Fell hängen.
»Ich bin kein netter Mensch«, erklärte ich.
Noch immer keine Regung. Mein Bewusstsein krümmte sich, nur ein winziges bisschen, als ich versuchte, Coles Augen und dieses Wolfsgesicht miteinander in Verbindung zu bringen.
Ich wickelte das Brot aus und drehte die Tüte um, sodass die Scheiben neben mir in den Schnee plumpsten. Er rührte sich nicht. Ohne zu blinzeln, starrte er mich bloß an, menschliche Augen im Gesicht eines Tieres. »Aber ich hätte nicht behaupten sollen, dass dein Kuss mies war«, redete ich weiter und erschauderte vor Kälte. Dann fiel mir nichts mehr ein, was ich noch zu dem Kuss hätte sagen können, also hielt ich den Mund.
Ich wandte mich wieder zur Tür. Bevor ich reinging, faltete ich die Kleider zusammen, drehte den leeren Blumenkübel neben der Tür um und schob die Sachen darunter, um sie vor der Witterung zu schützen. Dann ließ ich ihn draußen in der Dunkelheit zurück.
Noch immer sah ich seine menschlichen Augen in diesem Wolfsgesicht vor mir. Sie wirkten genauso leer, wie ich mich fühlte.
KAPITEL 13
SAM
Meine Mutter fehlte mir. Grace konnte ich das nicht erklären. Ich wusste, dass sie, wenn sie an meine Mutter dachte, nur die grausamen Narben vor sich sah, die meine Eltern an meinen Handgelenken hinterlassen hatten – was ja auch verständlich war. Die Erinnerung daran, wie sie versuchten, das winzige Monstrum zu töten, zu dem ich geworden war, füllte meinen Kopf manchmal dermaßen aus, dass es mir vorkam, als wollte mir der Schädel bersten. Die alten Wunden gingen so tief, dass ich die Rasierklingen noch immer spürte, sobald ich in die Nähe einer Badewanne kam.
Aber ich hatte auch noch andere Erinnerungen an meine Mutter, die sich immer dann in mein Bewusstsein stahlen, wenn ich es
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