Ruht das Licht
Müsli und Eier und Milch.«
Ich hob eine Augenbraue.
Sam hatte schon wieder die Schultern hochgezogen und wollte gerade auf den Flur verschwinden, doch meine gehobene Augenbraue hielt ihn zurück. Einen Moment schloss er die Augen, dann öffnete er sie wieder. »Okay, nur eins.« Er stellte seine Tasse auf die Kücheninsel zwischen uns und verschränkte die Arme. »Sag mir nur eins: Was willst du hier?«
Der kampflustige Unterton in seiner Stimme machte ihn mir gleich ein bisschen sympathischer. Irgendwie wog das den Eindruck seiner bescheuerten Matschfrisur und der traurigen, unecht wirkenden Augen auf. Nicht schlecht, anscheinend besaß er doch ein wenig Rückgrat.
»Ein Wolf sein«, entgegnete ich achselzuckend. »Was ja nicht der Grund dafür zu sein scheint, dass du hier bist, wenn man den Gerüchten Glauben schenken kann.«
Sams Blick huschte kurz zu den Fotos hinter mir, von denen so viele ihn zeigten, dann zurück zu meinem Gesicht. »Ich brauche keinen Grund, hier zu sein. Das ist mein Zuhause.«
»Kaum zu übersehen«, erwiderte ich. Sicher hätte ich es ihm ein bisschen leichter machen können, aber ich wusste nicht, wieso.
Sam überlegte eine Weile. Ich sah ihm regelrecht an, dass er im Geiste abwog, wie viel Mühe ihm dieses Gespräch überhaupt wert war. »Pass auf. Ich bin kein Idiot. Aber ich begreife einfach nicht, warum jemand sich für dieses Leben entscheiden sollte. Wenn du mir das erklären könntest, würden wir bestimmt schon mal um einiges besser miteinander auskommen.«
Ich hob die Hände, als würde ich irgendetwas präsentieren. Wenn ich das bei Konzerten machte, flippte die Menge für gewöhnlich aus, denn es bedeutete, dass ich einen brandneuen Song singen würde. Victor hätte die Anspielung verstanden und gelacht. Aber Sam kannte den Zusammenhang nicht und starrte nur auf meine Hände, bis ich schließlich erklärte: »Um neu anzufangen, Ringo. Aus dem gleichen Grund wie dein Beck.«
Sams Gesicht wirkte vollkommen leer. »Aber du hast es dir ausgesucht. Bewusst.«
Ganz offensichtlich hatte Beck Sam eine andere Version seiner Geschichte erzählt als mir und ich fragte mich, welche wohl die richtige war. Ich hatte jedoch nicht vor, mich auf eine lange Diskussion mit Sam einzulassen, der mich ansah, als fürchtete er, dass ich ihm als Nächstes erzählte, es gäbe keinen Weihnachtsmann. »Ja, stimmt. Denk darüber, was du willst. Kann ich jetzt vielleicht frühstücken?«
Sam schüttelte den Kopf – nicht so, als wäre er wütend, sondern so, als müsste er ein paar Fliegen von seinen Gedanken verscheuchen. Er sah auf seine Uhr. »Von mir aus, klar. Ich muss jetzt sowieso zur Arbeit.« Er ging an mir vorbei, ohne mich anzusehen, dann aber schien er es sich anders zu überlegen. Er kam noch einmal zurück in die Küche und kritzelte etwas auf einen Klebezettel, den er dann an die Kühlschranktür klatschte. »Das sind meine Handynummer und die von meiner Arbeit. Ruf mich an, wenn was ist.«
Es war deutlich, wie sehr es ihm gegen den Strich ging, nett zu mir zu sein, aber er war es trotzdem. Ein angeborener Sinn für Höflichkeit? Pflichtgefühl? Was sonst? Mit netten Menschen konnte ich nicht viel anfangen.
Sam drehte sich wieder zum Gehen um, doch in der Tür blieb er abermals stehen und klimperte unruhig mit den Autoschlüsseln. »Wahrscheinlich verwandelst du dich bald zurück. Wenn die Sonne untergeht oder du zu lange draußen bist. Also versuch möglichst, in der Nähe zu bleiben. Damit dich keiner sieht, wenn du dich verwandelst, okay?«
Ich schenkte ihm ein dünnes Lächeln. »Geht klar.«
Sam sah aus, als wollte er noch etwas sagen, verzog dann aber nur das Gesicht und massierte sich mit zwei Fingern die Schläfe. Diese Geste sagte alles, was Sam nicht ausgesprochen hatte: Er hatte einen ganzen Haufen Probleme und ich war nur eines davon. Ich genoss meine Anonymität mehr, als ich erwartet hatte.
ISABEL
Als Grace am nächsten Tag nicht zur Schule kam, verzog ich mich in der Mittagspause auf die Mädchentoilette und wählte ihre Nummer. Ihre Mutter nahm ab. Zumindest war ich mir ziemlich sicher, dass es ihre Mutter war.
»Hallo?« Die Stimme, die sich meldete, war eindeutig nicht die von Grace.
»Ähm, hallo?« Ich versuchte, nicht allzu patzig zu klingen, für den Fall, dass es wirklich ihre Mutter war. »Eigentlich wollte ich ja Grace sprechen.« Na gut, komplett umkrempeln konnte ich mich natürlich auch nicht. Ich meine, wozu auch?
Die andere Stimme klang
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