Ruht das Licht
sehen. Du fängst an. Nein, du.
Also fing ich an. »Wie fühlst du dich heute, Grace?«, fragte ich.
Mom winkte ab, als wäre es offensichtlich, dass es mir gut ging, besonders wenn ich zu solch sarkastischen Bemerkungen in der Lage war. »Heute ist doch die Messe.«
Sie hielt inne, um abzuwarten, ob weitere Erklärungen nötig wären. Waren sie nicht. Mom fuhr jedes Jahr dorthin – vor Tagesanbruch machte sie sich mit einem ganzen Wagenanhänger voll Kunst auf den Weg und kam für gewöhnlich nicht vor Mitternacht wieder, erschöpft und mit einem weit leereren Anhänger. Dad fuhr immer mit, wenn er freibekam. Einmal war ich auch dabei gewesen. Es war ein riesiges Gebäude voller Moms und Leute, die Gemälde wie die von Mom kauften. Ich fuhr nie wieder mit.
»Okay«, erwiderte ich. »Und?«
Mom sah Dad an.
»Und du hast immer noch Hausarrest«, sagte Dad. »Auch wenn wir nicht da sind.«
Ich setzte mich ein bisschen weiter auf und mein Kopf begann sofort protestierend zu kribbeln.
»Wir können uns doch auf dich verlassen, oder?«, vergewisserte sich Mom. »Dass du keine Dummheiten machst?«
Meine Worte waren langsam und überdeutlich, so sehr musste ich mich bemühen, sie nicht herauszuschreien. »Ihr wollt’s mir wirklich heimzahlen, oder? Ich hab –« Eigentlich wollte ich sagen: ewig gespart für Sams Geschenk, aber aus irgendeinem Grund schnürte mir der Gedanke, diesen Satz zu beenden, die Kehle zu. Ich schloss die Augen und öffnete sie wieder.
»Nein«, sagte Dad. »Das ist deine Strafe. Du hast bis Montag Hausarrest und damit basta. Es ist bedauerlich, dass Samuels Termin nun gerade in diesen Zeitraum fällt, aber so ist es eben. Vielleicht ein anderes Mal.« Er sah nicht so aus, als fände er das alles besonders bedauerlich.
»Die sind auf Monate im Voraus ausgebucht, Dad«, sagte ich.
Ich hätte nicht gedacht, dass Dads Mund so hässlich aussehen könnte. »Tja, dann hättet ihr vielleicht ein bisschen darüber nachdenken sollen, was ihr tut.«
Ich fühlte einen winzigen, pochenden Kopfschmerz genau zwischen den Augenbrauen. Ich drückte mir die Faust auf die Stelle, dann sah ich wieder auf. »Dad, es ist sein Geburtstagsgeschenk. Das einzige Geschenk, das er überhaupt bekommen hat. Es ist wirklich wichtig für ihn.« Meine Stimme versagte – einfach so. Ich musste schlucken, bevor ich weiterreden konnte. »Bitte lasst mich gehen. Gebt mir dafür Montag Hausarrest. Lasst mich gemeinnützige Arbeit verrichten, die Toiletten mit meiner Zahnbürste schrubben. Aber bitte lasst mich gehen.«
Mom und Dad sahen einander an und einen kurzen, wahnwitzigen Moment lang dachte ich tatsächlich, sie würden darüber nachdenken.
Dann sagte Mom: »Wir wollen nicht, dass du so lange mit ihm allein bist. Wir trauen ihm nicht mehr.«
Oder mir. Sagt es doch einfach.
Aber das taten sie nicht.
»Die Antwort ist Nein, Grace«, erklärte Dad. »Du kannst ihn morgen sehen und froh sein, dass wir dir das erlauben.«
»Dass ihr mir das erlaubt?« ,wiederholte ich ungläubig. Ich krallte die Hände rechts und links von mir in die Bettdecke. Wut stieg in mir auf – ich spürte meine glühenden Wangen, so heiß wie der Sommer, und plötzlich konnte ich einfach nicht mehr. »Während meiner ganzen Teenagerzeit habt ihr hier nur sporadisch mal vorbeigeschaut und ansonsten über Zettelchen mit mir kommuniziert und jetzt kommt ihr hier reingestiefelt und sagt: ›Tut uns leid, Grace, aber dieses kleine bisschen Leben, das du dir da aufgebaut hast, diesen Menschen, den du dir ausgesucht hast – sei froh, dass wir dir das nicht auch noch alles nehmen.‹«
Mom warf die Hände in die Luft. »Ach, Grace, ehrlich. Übertreib doch nicht so. Als ob wir noch mehr Beweise dafür bräuchten, dass du noch nicht reif genug bist, um so viel Zeit mit ihm zu verbringen. Du bist siebzehn. Du hast dein ganzes Leben noch vor dir. Das ist doch nicht das Ende der Welt, in fünf Jahren –«
»Sag es nicht«, unterbrach ich sie.
Und zu meiner Überraschung tat sie es auch nicht.
»Erzähl mir nicht, dass ich seinen Namen in fünf Jahren sowieso vergessen habe oder was auch immer du sagen wolltest. Hör endlich auf, so herablassend zu sein.« Ich stand auf und warf dabei die Decke ans Fußende des Bettes. »Ihr zwei habt lange genug so getan, als wüsstet ihr, was in meinem Kopf vorgeht. Warum geht ihr nicht einfach zu einer von euren Dinnerpartys oder Galerieeröffnungen oder irgendeiner spätabendlichen Hausbesichtigung oder
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