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Ruht das Licht

Ruht das Licht

Titel: Ruht das Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
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sie zu einem Songtext zu verbinden. Ich war teils hier, teils woanders, als ich in Becks Küche stand, an einem Abend, wie er genauso gut vor zehn Jahren hätte sein können.
    Die Gesichter auf den Fotos am Küchenschrank lächelten mir zu, Dutzende verschiedene Versionen von Beck und mir, Beck und Ulrik, Paul und Derek, Ulrik und mir. Gesichter, die darauf warteten, wieder zum Leben erweckt zu werden. In der nächtlichen Küche wirkten die Fotos ausgeblichen und alt. Ich erinnerte mich daran, wie Beck sie aufgehängt hatte, als sie noch ganz neu waren. Greifbare Beweise unserer Zusammengehörigkeit.
    Ich dachte an meine Eltern, die sich kurzerhand entschlossen hatten, mich nicht mehr zu lieben, nur weil ich es nicht schaffte, in meiner Haut zu bleiben. Und daran, wie ich Beck gemieden hatte, als ich glaubte, er hätte die drei neuen Wölfe gegen ihren Willen infiziert. Mir war, als fühlte ich die unvollkommene Liebe meiner Eltern nun auch durch meine Adern strömen. Wir waren gleichermaßen voreilig in unseren Urteilen.
    Als ich schließlich bemerkte, dass Cole fort war, trat ich aus der Hintertür und sammelte im Garten seine Kleidung auf. Mit dem kalten Bündel in den Händen stand ich da und ließ zu, dass die Nachtluft tief in meine Haut schnitt, durch sämtliche Schichten all dessen, was mich zu Sam und zu einem Menschen machte, bis hinunter zu dem Wolf, von dem ich mir vorstellte, dass er immer noch irgendwo verborgen in mir lauerte. In Gedanken ging ich das Gespräch mit Cole noch einmal durch.
    Hatte er mich wirklich um Hilfe gebeten?
    Ich fuhr zusammen, als das Telefon klingelte. Es lag nicht auf seiner Station in der Küche, also ging ich zum anderen Telefon im Wohnzimmer, setzte mich auf die Armlehne des Sofas und hob den Hörer ans Ohr. Grace, dachte ich voller Hoffnung. Grace.
    »Hallo?« Zu spät wurde mir klar, dass ein so später Anruf von Grace bedeuten würde, dass irgendetwas nicht in Ordnung war.
    Aber es war nicht Grace, die mir antwortete, obwohl es eine weibliche Stimme war. »Wer ist denn da?«
    »Wie bitte?«, fragte ich zurück.
    »Jemand hat von dieser Nummer auf meinem Handy angerufen. Zweimal.«
    »Wer ist denn dal«
    »Angie Baranova.«
    »Wann wurde denn angerufen?«
    »Gestern. Ziemlich früh. Keine Nachricht hinterlassen.«
    Cole. Er musste es gewesen sein. Dieser Idiot. »Da muss sich jemand verwählt haben«, erwiderte ich.
    »Ja, muss wohl so sein«, sagte sie langsam. »Diese Nummer kennen nämlich nur vier Leute.«
    Ich revidierte meine Meinung über Cole. Dieser total verblödete Idiot.
    »Wie ich schon sagte«, beharrte ich, »da hat sich jemand verwählt.«
    »Oder es war Cole«, sagte Angie.
    »Bitte?«
    Sie ließ ein bitteres kleines Lachen ertönen, ohne jeden Humor. »Ich hab keine Ahnung, wer du bist, aber ich weiß, du würdest noch nicht mal was sagen, wenn er direkt neben dir stünde. Cole ist ziemlich gut in so was, findest du nicht auch? Leute dazu zu bringen, dass sie tun, was er will? Tja, jedenfalls, wenn er da irgendwo ist und mich angerufen hat, kannst du ihm ausrichten, dass ich ein neues Handy habe. Die Nummer lautet 017-du-kannst-mich-mal. Danke.«
    Und sie legte auf.
    Ich drückte auf den roten Hörer, um ebenfalls aufzulegen, dann beugte mich vor und stellte das Telefon zurück auf die Station. Ich betrachtete Becks Bücherstapel am anderen Ende des Tisches. Daneben stand ein gerahmtes Foto, das Ulrik gemacht hatte, als Paul Beck beim Burgergrillen von oben bis unten mit Senf bekleckert hatte. Beck blinzelte unter der unnatürlich gelben Pampe, die in seinen Augenbrauen und Wimpern klebte, zu mir herüber.
    »Na, da hast du uns ja ’nen richtig tollen Typen ausgesucht«, sagte ich zu Becks Foto.
GRACE
    Als ich in dieser Nacht in meinem Bett lag, versuchte ich zu vergessen , wie die Wölfe mich angesehen hatten, und mir vorzustellen, Sam läge neben mir. Ich blinzelte in die Dunkelheit und zog Sams Kissen näher zu mir, doch von seinem Geruch war nichts mehr übrig und es war wieder bloß ein Kissen. Ich schob es zurück auf seine Seite des Bettes und hob stattdessen eine Hand an die Nase, um zu prüfen, ob ich immer noch so roch wie die Wölfe im Wald. Ich dachte an Isabels Gesicht, als sie gesagt hatte: Du weißt, dass das hier mit den Wölfen zu tun hat, und versuchte, ihre Miene zu deuten. Abscheu? So als wäre ich ansteckend? Oder war es Mitleid?
    Wenn Sam hier gewesen wäre, hätte ich geflüstert: Glaubst du, sterbende Menschen spüren es, dass sie

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