Ruht das Licht
als er im Schuppen auf dem Boden lag – so bitter, gleichermaßen Victor und Wolf. Meine Schuld.
Mir kam der Gedanke, dass ich so ziemlich das Gegenteil meines Vaters war. Denn ich war sehr gut darin, Dinge zu zerstören.
Ich griff zum Wasserhahn und stellte ihn auf kalt. Einen kurzen Augenblick lang war noch genug heißes Wasser übrig, dass der Strahl genau die Temperatur meines Körpers hatte und ich quasi unsichtbar wurde. Dann wurde es eisig. Ich fluchte und kämpfte gegen den Drang an, aus der Wanne zu springen.
Sofort bekam ich eine Gänsehaut, so schnell, dass es wehtat, und legte den Kopf in den Nacken. Das Wasser strömte mir über den Hals.
Los. Verwandle dich.
Aber das Wasser war nicht kalt genug, um mich zu verwandeln; es war gerade so kalt, dass sich mein Magen zusammenzog und Übelkeit in mir aufstieg. Ich drehte den Hahn mit dem Fuß ab.
Warum war ich immer noch ein Mensch?
Das ergab keinen Sinn. Wenn diese Wolfsgeschichte eine wissenschaftliche Grundlage hatte und keine Zauberei war, dann musste sie Regeln folgen und logisch aufgebaut sein. Und die Tatsache, dass neue Wölfe sich bei unterschiedlichen Temperaturen und zu unterschiedlichen Zeiten verwandelten … die war ja nun alles andere als logisch. In meinem Kopf wechselten sich die Bilder ab: Victor, der sich hin- und zurückverwandelte, die weiße Wölfin, die mich still beobachtete und beneidenswert fest in ihrem Wolfskörper zu stecken schien, und ich selbst, wie ich durch die Flure tigerte und auf die Verwandlung wartete. Ich schnappte mir das Gästehandtuch vom Waschbecken, trocknete mich damit ab und durchsuchte die Schränke in den unteren Zimmern nach was zum Anziehen. Ich fand ein dunkelblaues Sweatshirt mit dem Aufdruck NAVY und Jeans, die mir zwar zu weit waren, aber immerhin nicht herunterrutschten. Und in der ganzen Zeit, während ich mich nach Klamotten umsah, schwirrte mir der Kopf auf der Suche nach Logik.
Vielleicht hatte Beck ja unrecht gehabt, was die Rolle von Hitze und Kälte bei den Verwandlungen betraf. Vielleicht waren sie gar nicht die eigentlichen Ursachen, sondern beschleunigten den Prozess nur. Und in dem Fall gab es vielleicht andere Möglichkeiten, die Verwandlung auszulösen.
Ich brauchte Papier. Ohne meine Gedanken aufzuschreiben, konnte ich nicht nachdenken.
Ich holte mir ein paar Blatt Papier aus Becks Arbeitszimmer und nahm auch gleich seinen Tagesplaner mit. Damit setzte ich mich an den Esstisch; mein Stift schwebte über dem Papier. Die warme Luft, die leise aus der Heizung strich, machte mich ganz schläfrig. Im Geiste saß ich wieder im Esszimmer meiner Eltern am Tisch. Jeden Morgen hatte ich dort mit meinem Brainstorming-Notizbuch gesessen – eine Idee meines Vaters – und Hausaufgaben gemacht, Songtexte oder Tagebuch geschrieben oder irgendetwas festgehalten, was ich in den Nachrichten gesehen hatte. Damals, als ich noch sicher gewesen war, dass ich einmal die Welt verändern würde.
Ich dachte an Victor, seine geschlossenen Augen, wenn er mal wieder eine neue Droge ausprobiert hatte und high war. An das Gesicht meiner Mutter, als ich ihr sagte, sie und Dad könnten meinetwegen zur Hölle fahren. An die unzähligen Mädchen, die aufwachten und feststellen mussten, dass sie mit einem Geist geschlafen hatten, weil ich längst fort war – wenn nicht unbedingt körperlich, dann zumindest seelisch –, davongesegelt auf den Höhen eines Trips, den ich mir aus irgendeiner Flasche oder Spritze geholt hatte. An Angie, wie sie die Hand flach auf ihr Brustbein presste, als ich ihr gestand, dass ich sie betrogen hatte.
Oh Mann, und wie ich die Welt verändert hatte.
Ich schlug den Planer auf und blätterte ihn durch, las die Einträge nicht richtig, sondern überflog sie nur auf der Suche nach Hinweisen. Es gab ein paar Kleinigkeiten, die nützlich sein konnten, auch wenn sie für sich genommen erst mal wertlos schienen: Habe heute eine tote Wölfin gefunden; ich hob mir ihre Augen angesehen, aber ich kannte sie nicht. Paul meinte, sie hätte schon vor vierzehn Jahren aufgehört, sich zu verwandeln. Ihr Gesicht war voller Blut. Hat höllisch gestunken. Und: Derek hat sich mitten im heißesten Sommer für zwei Stunden in einen Wolf verwandelt. Ulrik und ich haben den ganzen Nachmittag darüber diskutiert. Und: Warum hat Sam so viel weniger Jahre als wir anderen? Er ist der Beste von uns allen. Warum ist das Leben so ungerecht?
Mein Blick fiel auf meine Hand. Unter dem Daumennagel war noch immer ein
Weitere Kostenlose Bücher