Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ruht das Licht

Ruht das Licht

Titel: Ruht das Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
Vom Netzwerk:
sterben?
    Ich zog eine Grimasse in der Dunkelheit. Mir war klar, dass ich gerade ziemlich pathetisch war.
    Zumindest wollte ich glauben, dass ich einfach nur pathetisch war.
    Eine Hand flach auf den Bauch gelegt, dachte ich an den nagenden Schmerz ein paar Zentimeter unter meinen Fingern. Im Augenblick fühlte sich der Schmerz dumpf an, so als würde er schlummern.
    Ich grub die Finger in meine Haut.
    Ich weiß, dass du da bist.
    Es kam mir so jämmerlich vor, wie ich hier wach im Bett lag und einsam und allein über meinen Tod nachdachte, während Sam nur ein paar Autominuten entfernt war. Ich blickte zur Decke hoch, wo das Schlafzimmer meiner Eltern lag, wütend, weil sie Sam von mir fernhielten – jetzt, wo ich ihn am dringendsten gebraucht hätte.
    Wenn ich nun starb, würde ich nie aufs College gehen. Ich hätte nie mein eigenes Leben gelebt, nie eine eigene Kaffeemaschine gekauft (ich wollte eine rote). Ich würde nie Sam heiraten. Ich würde nie die Grace werden, die ich sein sollte.
    Mein ganzes Leben lang war ich so vorsichtig gewesen.
    Ich dachte an meine Beerdigung. Mom würde es nie im Leben hinbekommen, so etwas ordentlich zu planen. Dad würde es machen, zwischen Telefonaten mit Investoren und der Wohnungseigentümergemeinschaft. Oder Grandma würde es in die Hand nehmen. Die würde höchstwahrscheinlich sowieso mal ein ernstes Wort mit ihrem Sohn reden wollen, wenn sie wüsste, wie er sich um ihre Enkelin kümmerte. Rachel würde kommen und wahrscheinlich auch ein paar meiner Lehrer. Mrs Erskine auf jeden Fall, die wollte, dass ich Architektin wurde. Isabel auch, obwohl sie wahrscheinlich keine Träne vergießen würde. Ich dachte an das Begräbnis von Isabels Bruder – die ganze Stadt war erschienen, weil er so jung gewesen war. Also würde ich vielleicht auch eine ganz ansehnliche Menge Leute zusammenbekommen, auch wenn mein Tod keine Schlagzeilen machen würde. Einfach nur, weil ich so jung starb, dass ich noch gar nicht richtig gelebt hatte. Brachten die Leute eigentlich Geschenke mit zu Beerdigungen, so wie zu Hochzeiten und Taufen?
    Ich hörte ein Knarren vor meiner Zimmertür. Ein kleines Klicken, ein Fuß auf den Holzdielen und dann schob sich leise die Tür auf.
    Einen winzigen Moment lang dachte ich, es wäre Sam, der sich auf wundersame Weise hatte hereinschleichen können. Dann aber sah ich von meinem Deckennest aus die Schultern und den Kopf meines Vaters, der ins Zimmer lugte. Ich gab mir die größte Mühe, mich schlafend zu stellen und gleichzeitig die Augen noch einen Schlitz offen zu halten. Mein Vater machte ein paar zögerliche Schritte ins Zimmer. Er sieht nach, ob es mir gut geht, dachte ich überrascht.
    Doch dann hob er ganz leicht das Kinn, um über mich hinweg auf die andere Seite des Bettes sehen zu können, und mir wurde klar, dass er nicht hier war, um nachzusehen, ob es mir gut ging. Er wollte lediglich sichergehen, dass Sam nicht bei mir war.

KAPITEL 28
COLE
    Ich fand mich zusammengekauert auf dem Waldboden wieder, Kiefernnadeln drückten sich in meine Handflächen, meine bloßen Knie waren blutverschmiert und ich konnte mich nicht erinnern, wie lange ich schon ein Mensch war.
    Ich steckte fest in einem blassblauen Morgen. Der Nebel, der um mich herumwaberte, tauchte alles in Pastell. Die Luft roch nach Blut, Fäkalien und Brackwasser. Ich brauchte nur einen Blick auf meine Hände zu werfen, um zu sehen, woher diese Gerüche rührten. Ich befand mich nur ein paar Meter entfernt vom Seeufer und zwischen mir und dem Wasser lag eine tote Hirschkuh flach auf der Seite. In der Rippengegend war ein Hautlappen zurückgeklappt und bot ihre Innereien dar wie ein grausiges Geschenk. Es war ihr Blut, das an meinen Händen und auch an meinen Knien klebte. In den Baumkronen, unsichtbar im Nebel, hörte ich Krähen rufen, die ungeduldig darauf warteten, dass ich das Interesse an meiner Beute verlor.
    Ich sah mich um, suchte nach den anderen Wölfen, die mir geholfen haben mussten, das Tier zu reißen, doch sie hatten mich alleingelassen. Oder, besser gesagt, ich hatte sie alleingelassen, indem ich mich widerstrebend in einen Menschen verwandelt hatte.
    Eine winzige Bewegung erregte meine Aufmerksamkeit und ich wandte den Kopf. Ich brauchte einen Moment, um zu verstehen, was sich da bewegt hatte – die Hirschkuh. Ihr Auge. Sie blinzelte und ich sah, dass sie mich direkt anblickte. Sie war nicht tot – sie lag im Sterben. Schon seltsam, wie sehr zwei Dinge sich gleichen und doch so

Weitere Kostenlose Bücher