Ruht das Licht
bisschen Blut. Ich hätte nicht gedacht, dass Blut auf der Haut kleben bleiben würde, wenn man sich verwandelte, und es hätte doch sowieso in meinem Fell und nicht auf meiner Haut sein müssen. Das musste also bedeuten, dass das Blut erst unter meinen Fingernagel gelangt war, als ich schon wieder ein Mensch war. In den verlorenen Minuten, nachdem ich meine menschliche Gestalt zurückbekommen hatte, aber bevor ich wieder zu Cole wurde.
Ich legte den Kopf auf den Tisch; das Holz fühlte sich eiskalt an. Es schien viel zu viel Arbeit, eine Theorie über die Verwandlungen aufzustellen. Und selbst wenn es mir gelang – selbst wenn ich herausfand, was uns wirklich zu Wölfen machte und wohin unser Geist ging, wenn er dem Körper nicht folgte –, wozu das Ganze? Um für immer zum Wolf zu werden? So viel Arbeit, nur für ein Leben, an das ich mich nicht erinnern würde. Ein Leben, das es nicht wert war, gelebt zu werden.
Nach meiner Erfahrung gab es einfachere Arten, das bewusste Denken abzustellen. Und ich kannte eine Art, die zu versuchen ich bis jetzt nur zu feige gewesen war, eine, deren Wirkung permanent war.
Einmal hatte ich Angie davon erzählt. Das musste wohl damals gewesen sein, bevor sie angefangen hatte, mich zu hassen. Ich saß gerade am Keyboard, war frisch von meiner ersten Tour zurück – die ganze Welt lag mir zu Füßen, als wäre ich König und Eroberer zugleich, alles war möglich. Angie wusste noch nicht, dass ich sie während der Tour betrogen hatte. Oder vielleicht wusste sie es doch. Ich hörte auf zu spielen, die Finger noch über den Tasten, und sagte: »Ich denke darüber nach, mich umzubringen.«
Angie saß in dem alten Fernsehsessel, den wir in der Garage stehen hatten, und sah nicht auf. »Ja, dachte ich mir schon. Und, bist du schon zu irgendeinem Schluss gekommen?«
»Da steht definitiv einiges auf der Pro-Seite«, antwortete ich. »Und mir fällt nur ein Kontra ein.«
Eine ganze Weile sagte sie nichts. Und dann: »Warum sagst du so was überhaupt? Willst du, dass ich es dir ausrede? Der Einzige, der dir das aus- oder einreden kann, bist doch du selbst. Du bist schließlich das Genie hier. Und das weißt du auch. Also ging’s dir ja wohl nur um den dramatischen Effekt.«
»Quatsch«, erwiderte ich. »Ich wollte wirklich deine Meinung hören. Aber egal.«
»Was denkst du denn, was ich dazu sage? ›Du bist mein Freund, also los, bring dich ruhig um. Das ist doch ein schöner, einfacher Ausweg.‹ Ja, genau, das würde ich sagen.«
Im Geiste war ich wieder in dem Hotel und ließ mir von einem Mädchen namens Rochelle die Hose aufknöpfen, einfach nur, weil ich es konnte. Ich schloss die Augen und lauschte dem Sirenengesang meines Selbsthasses. »Ich weiß auch nicht, Angie. Keine Ahnung, ich hab einfach nicht nachgedacht. Ich hab nur ausgesprochen, was mir durch den Kopf ging, okay?«
Sie biss sich auf den Fingerknöchel und sah einen Augenblick zu Boden. »Okay, und die Erlösung? Was ist damit? Das ist das wichtigste Kontra, das mir einfällt. Wenn du dich umbringst, dann war’s das. So erinnert man sich dann an dich. Und die Hölle – glaubst du überhaupt noch daran?«
Ich hatte mein Kreuz irgendwo unterwegs verloren. Die Kette war gerissen und jetzt lag es wahrscheinlich auf dem Boden irgendeiner Tankstellentoilette oder zwischen Hotelbettlaken oder es war zu einem glitzernden Souvenir geworden, für jemanden, bei dem ich es nicht hatte zurücklassen wollen.
»Ja«, sagte ich, denn ich glaubte noch an die Hölle. Nur was den Himmel anging, war ich mir nicht mehr so sicher.
Ich redete nicht mehr mit ihr darüber. Sie hatte ja recht: Der Einzige, der es mir ein- oder ausreden konnte, war ich.
KAPITEL 31
GRACE
Jede Minute, die verstrich, trug uns weiter fort von Mercy Falls und allem darin.
Wir hatten Sams Wagen genommen, weil es ein Diesel war und weniger verbrauchte, aber Sam ließ mich fahren, weil er wusste, dass ich das gern tat. Im CD-Player war noch immer eine von meinen Mozart-CDs, als wir losfuhren, aber ich schaltete um auf den etwas verrauschten Indie-Alternative-Sender, den Sam so mochte. Sam blinzelte überrascht zu mir hinüber und ich versuchte, nicht allzu zufrieden darüber auszusehen, dass ich langsam lernte, seine Sprache zu sprechen. Wahrscheinlich langsamer, als er meine lernte, aber ich war trotzdem ziemlich beeindruckt von mir.
Der Tag war schön, der Himmel blau, in den Senken der Straßen sammelte sich dünner, blasser Nebel, der sofort
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