Ruht das Licht
Museum.«
»Jetzt nicht mehr«, erwiderte ich und sah zu ihm hinüber. Er sah blass und winterlich in diesem fahlen Morgenlicht aus. Ich wechselte die Spur, einfach nur um die Spur zu wechseln.
»Stimmt«, gab er zu. Er rückte ein Stück von mir ab und zog die Hand hinter meinem Kopf hervor. Dann strich er mit den Fingern über das Plastikgitter der Lüftung vor ihm. Seine Finger hatten mir gefehlt. Ohne mich anzusehen, fragte er: »Was glaubst du, was für einen Mann würden deine Eltern sich für dich wünschen? Den du heiratest. Jemand Besseren als mich?«
Ich schnaubte. »Wen interessiert denn, was die sich wünschen?« Da erst wurde mir klar – zu spät –, was er da gefragt hatte, und ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Meinte er das etwa ernst? Aber er hatte mich ja nicht direkt gefragt, ob ich ihn heiraten wollte. Das war schließlich was anderes. Ich wusste nicht, wie ich mich jetzt fühlen sollte.
Sam schluckte und schob das Lüftungsgitter auf und zu, auf und zu. »Ich frage mich, was passiert wäre, wenn du mich nicht kennengelernt hättest. Ob du dann die Highschool zu Ende gemacht und ein Stipendium als Mathegenie bekommen hättest, irgendwo, wo solche Überflieger wie du eben hingehen. Und dann einen unglaublich charmanten, erfolgreichen, witzigen Hirnchirurgen in spe kennengelernt hättest.«
Von all den Sachen, die mich an Sam verwirrten, verwirrte mich diese eine am meisten: seine plötzlichen Stimmungsumschwünge ins Selbstzerstörerische. Ich hatte schon das eine oder andere Mal mitbekommen, wie Dad Mom solche Anwandlungen ausgeredet hatte, und die waren denen von Sam im Wesentlichen ziemlich ähnlich. War das vielleicht der Preis der Kreativität?
»Sei nicht albern«, wies ich ihn zurecht. »Ich sitze ja auch nicht rum und male mir aus, was passiert wäre, wenn du ein anderes Mädchen aus dem Schnee gezogen hättest.«
»Nein? Na, da bin ich ja erleichtert.« Er drehte die Heizung auf und legte die Handgelenke auf das Lüftungsgitter. Die Sonne knallte inzwischen durch die Windschutzscheibe, aber Sam war wie eine Katze – ihm war nie zu warm. »Es ist gar nicht so einfach, mich daran zu gewöhnen, dass ich jetzt ein normaler Mensch bin. Ich darf ja nun wirklich erwachsen werden. Vielleicht sollte ich mir noch einen anderen Job suchen.«
»Noch einen? Du meinst, zusätzlich zum Buchladen?«
»Ich weiß nicht genau, wie es finanziell mit dem Haus aussieht. Ich weiß, dass Geld auf der Bank ist, das Zinsen abwirft, und hin und wieder kommt was aus einem Fonds dazu und die Rechnungsbeträge werden von dem Konto abgebucht, aber das ist auch schon alles. Ich will das Geld nicht aufbrauchen, darum …«
»Warum gehst du nicht mal zur Bank und fragst nach? Die können da bestimmt mal einen Blick auf die Kontoauszüge werfen und dir damit weiterhelfen.«
»Ich will keinen danach fragen, bevor ich nicht sicher bin, dass B–« Sam hielt inne. Es war nicht nur eine Atempause, sondern der Satz brach einfach ab. Endgültig. Er sah aus dem Fenster.
Ich brauchte eine Minute, bis ich begriff, was er eigentlich hatte sagen wollen. Beck. Er wollte mit keinem darüber sprechen, bevor er sich nicht sicher war, dass Beck sich nicht doch wieder zurückverwandeln würde. Sams Fingerspitzen hoben sich weiß vom Armaturenbrett ab, wo er sie auf die Lüftungsschlitze presste. Er hatte die Schultern bis zu den Ohren hochgezogen.
»Sam«, sagte ich und sah ihn so eindringlich an, wie es ging, ohne die Straße aus den Augen zu lassen. »Ist alles in Ordnung mit dir?«
Sam legte die Hände in seinen Schoß, die Fäuste geballt. »Warum musste er bloß diese neuen Wölfe schaffen?«, fragte er schließlich. »Das macht alles so viel schwieriger. Es ging uns doch gut.«
»Das mit dir konnte er ja nicht ahnen«, warf ich ein und sah ihn kurz an. Langsam fuhr er sich mit dem Finger über Stirn und Nase. Ich hielt Ausschau nach einer Ausfahrt. Einem Rastplatz, wo ich kurz anhalten konnte. »Er dachte …« Jetzt war ich diejenige, die ihren Satz nicht zu Ende brachte: es wäre dein letztes Jahr.
»Aber Cole – ich weiß einfach nicht, was ich mit Cole machen soll«, gestand Sam. »Ich hab das Gefühl, da ist irgendwas an ihm, was ich verstehen müsste, aber der Typ ist mir einfach ein Rätsel. Du müsstest mal seine Augen sehen, Grace. Oh Mann, du müsstest seine Augen sehen, dann wüsstest du auch, dass da was absolut nicht mit ihm stimmt. Irgendwas ist kaputt bei dem. Und die anderen beiden und Olivia,
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