Rum Diary: Roman zum Film (German Edition)
wilde feurige Nummer in Erinnerung. Die Puertoricaner aber haben daraus einen monotonen Grabgesang gemacht, hohl und ohne jede Hoffnung, wie die Gesichter der Männer, die das Lied in diesem verlassenen Wrack einer Raststätte vor sich hin sangen. Es war keine richtige Band, doch ich hatte den Eindruck, daß diese Leute einen Auftritt daraus machen
wollten – und ich wartete darauf, daß sie jeden Moment verstummen und einen Hut herumreichen würden. Dann würden sie ihre Gläser leeren und hintereinander still in die Nacht hinausgehen, wie eine Truppe von Clowns nach einem Tag ohne ein Lachen.
Auf einmal war die Musik zu Ende, und einige Männer stürmten zur Jukebox. Ein Streit brach aus, es gab jede Menge Beleidigungen, und dann kam irgendwo aus weiter Ferne – wie eine Nationalhymne, die eine aufgebrachte Menge beruhigen soll – das langsame Geklimper von Brahms’ Wiegenlied. Der Streit hörte auf, es gab einen Augenblick der Stille, Münzen fielen in die Eingeweide der Jukebox, und ein wimmerndes Geschrei ertönte. Die Männer liefen wieder an die Bar, lachten und schlugen sich gegenseitig auf den Rücken.
Wir bestellten noch einmal drei Gläser Rum, die uns der Kellner brachte, und beschlossen, noch ein bißchen zu trinken. Das Abendessen verschoben wir auf später, und als wir dann etwas zu essen bestellen wollten, sagte uns der Kellner, daß die Küche schon geschlossen sei.
»Zum Teufel, niemals!« rief Yeamon. »Auf dem Schild heißt es, bis Mitternacht.«
Er deutete auf das Schild über der Bar.
Der Kellner schüttelte den Kopf.
Sala sah zu ihm hoch. »Bitte«, sagte er, »wir sind doch Freunde. Ich halte das nicht mehr aus. Ich habe Hunger.«
Wieder schüttelte der Kellner den Kopf und starrte auf den grünen Block in seiner Hand.
Plötzlich schlug Yeamon mit der Faust auf den Tisch. Der Kellner erschrak und verzog sich schnell hinter die Bar. Alle schauten jetzt zu uns herüber.
»Wir wollen Fleisch!« schrie Yeamon. »Und mehr Rum!«
Ein fetter kleiner Mann in einem weißen kurzärmeligen Hemd kam aus der Küche gerannt. Er patschte Yeamon auf die Schulter. »Liebe Leute«, sagte er nervös lächelnd. »Gute Gäste – kein Ärger, okay?«
Yeamon sah ihn an. »Wir wollen doch nur Fleisch«, sagte er freundlich. »Und noch eine Runde.«
Der kleine Mann schüttelte den Kopf. »Ab zehn kein Dinner mehr«, sagte er. »Sie sehen?« Er tippte mit dem Finger auf die Uhr. Es war zwanzig nach zehn.
»Auf dem Schild da steht Mitternacht«, erwiderte Yeamon.
Der Mann schüttelte den Kopf.
»Wo ist das Problem?« fragte Sala. »Die Steaks brauchen keine fünf Minuten. Und zum Teufel mit den Kartoffeln.«
Yeamon hob sein Glas. »Noch drei Drinks«, sagte er und winkte dem Barmann mit drei ausgestreckten Fingern.
Der Barmann schaute zu unserem Mann, der anscheinend der Geschäftsführer war. Der nickte kurz und verschwand. Ich dachte, wir hätten das Gröbste überstanden.
Doch er war sofort wieder bei uns und hatte einen kleinen grünen Zettel dabei, auf dem stand: ELF DOLLAR FÜNFZIG. Er legte die Rechnung vor Yeamon auf den Tisch.
»Da mach dir mal keine Sorgen«, sagte Yeamon.
Der Geschäftsführer klatschte in die Hände. »Also gut«, sagte er wütend. »Sie bezahlen.« Er streckte ihm seine Hand hin.
Yeamon schob die Rechnung vom Tisch. »Ich hab doch gesagt, mach dir keine Sorgen.«
Der Geschäftsführer klaubte die Rechnung vom Boden auf. »Sie zahlen!« schrie er. »Jetzt sofort!«
Yeamon lief rot an und erhob sich halb von seinem Stuhl. »Ich werde bezahlen, so wie bisher auch«, schrie er zurück. »Und jetzt laß uns in Ruhe und bring uns die verfluchten Steaks.«
Der Geschäftsführer zögerte, machte dann einen Satz nach vorn und knallte die Rechnung auf den Tisch. »Sie zahlen jetzt!« rief er wieder. »Sie zahlen jetzt und verschwinden – oder ich holen Polizei.«
Er hatte die Worte noch nicht mal ganz zum Mund herausgebracht, da packte ihn Yeamon an seinem Hemd. »Du mieser kleiner Dreckskerl«, zischte er. »Wenn du hier weiter rumbrüllst, bekommst du dein Geld überhaupt nicht mehr.«
Ich warf einen Blick auf die Männer an der Bar. Sie hatten hervorquellende Augen und sahen aus wie Hunde. Der Barmann stand an der Tür und schien bereit, entweder abzuhauen oder loszurennen und eine Machete zu holen – ich war mir da nicht so sicher.
Der Geschäftsführer hatte jetzt keine Kontrolle mehr über sich, fuchtelte mit seinen Fäusten herum und kreischte: »Zahlt,
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