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Rumgurken: Reisen ohne Plan, aber mit Ziel (German Edition)

Rumgurken: Reisen ohne Plan, aber mit Ziel (German Edition)

Titel: Rumgurken: Reisen ohne Plan, aber mit Ziel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tex Rubinowitz
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von Typographie durstig wird? Auch so ein fehlendes Wort, wie das für die tröstende Stelle auf dem Tisch, die noch warm ist, nachdem das kaum angerührte Gericht wieder abgeräumt wurde, oder das für den glasigen Blick des Mobiltelefonierers, halb auf unendlich, halb auf inwendig gestellt. Exakt der Blick der Italiener, sie müssen dazu nicht einmal telefonieren.
    Sardinienreisende können die widerwärtige Smaragdküste im Nordosten getrost ignorieren, Deppenmagnet de luxe. Flavio Briatore, der gelernte Landvermesser, hat dort seinen Club Billionaire, alles zugebaut und ausgebeutet, feindselig, exklusiv, komplett zernichtet . Das Wasser ist an den anderen Küsten genauso grün, genauso warm, genauso salzig, und in den Büschen sitzen da wie dort die Sittenstrolche. Denkbar indes ist, dass sie hier im Luxussegment die wunderschönen Seeigel, Akupunkteure Gottes, diese tapferen Tretminen aus dem Meer gekehrt haben. Ich finde, wenigstens einmal sollte man bei einem Sardinienaufenthalt in einen Igel getreten sein, so wie man sich in Finnland von der Mücke (Hyttynen) anzapfen lassen sollte oder in Chile von der Riesenpferdebremse (Tabano), das ist der Urlaubszoll, den man entrichten muss. Und die Stacheln wandern, wenn sie nicht rauseitern, sowieso den Weg allen Metabolismus, alles, was reinkommt, muss auch wieder raus, man braucht sich keine Sorgen zu machen, Jucken entfällt, ebenso das schlechte Gewissen, einen Igel zu essen, also den hübschen, orangenfarbenen Eierbrei. Man bekommt ihn ja sonst nur in Chile (Erizo) und Japan (Uni), also so unkosmopolitisch oder unkosmolukullisch ist Sardinien ja nun doch nicht (vermutlich weil es 400 Jahre katalanisch war). Man macht sich hier locker, also ist auch ein mit Igeleiern gefüllter Wiedehopf denkbar, warum eigentlich nicht?
    Landschaftlich bestrickt Sardinien durch ein paar verlässliche Konstanten, zum einen die vielen Korkeichen, die immer alle paar Jahre bis zu einer Höhe von etwa einem Meter fünfzig geschält werden und die einen peinlich berühren, denn sie sehen aus wie Lebensformen aus unserer Welt, denen man die Hosen runtergezogen oder den Pullover hochgeschoben hat, weswegen sie alle gekrümmt dastehen, aus Scham, um sie herum die geschorenen Schafe und die weißen Kühe, denen man alle Flecken abgemacht hat, das ist die Solidarität, die sie näher zusammenrücken lässt. Aber wen außer uns Empathiezentrifugen beeindruckt das? Und über allem die Strommasten mit den wunderschönen, gerippten Glasisolatoren. Porzellan, Bakelit und Speckstein (Steatit) haben eine höhere Kriechstromfestigkeit, weshalb man sie bei uns häufiger sieht, Glas bekommt dadurch aber etwas Erlauchtes, Verletzliches, es passt auch besser zu der gedemütigten Flora und Fauna unter den Masten, unten kann man den Eichen auf die Knochen schauen, oben dem Strom beim Kriechen zusehen. Und wie um das Glück vollkommen zu machen, stehen überall Nuraghen herum, rätselhafte, prähistorische Steintürme, fast 6500 gibt es davon, in den unterschiedlichsten Verrottungsgraden. Keiner weiß, warum sie gebaut wurden. Waren es Burgen, Grabbauten, Kultstätten? Ich gehe davon aus, dass es sich bei ihnen um Unterkünfte für Sendboten von seltenen Pulsaren handelt. In einer stopfe ich einen Kronkorken der finnischen Brauerei Karhu (Bär) in eine Innenritze, den ich seit längerem in meiner Hosentasche spazieren führe. Ich opfere ihn sozusagen und hoffe inständig, dass ein vorbeiziehender Finne den Deckel entdeckt und ihm huldigt. In meiner Tasche scheppert dafür jetzt blechern ein Ichnusa-Bierverschluss, schön, dass Bierflaschen auch im Land der Korken Kronen aus Blech tragen.
    Schönste Stadt Sardiniens ist fraglos Tempio Pausania, Hauptstadt der Provinz Gallura, wo viele Städte im Zuge des Wunschs der Touristen nach Küstennähe und also Bademöglichkeiten, Schwalbennester wie Castelsardo beispielsweise, charakterlos gemacht, sterilisiert wurden, weil sie all das bedienen müssen, was der gemeine Tourist so vorzufinden wünscht an pittoresken Schuhkartonhäusern. In Tempio Pausania dagegen findet man eine wohltuende Bauinhomogenität, die Stadt, die nach dem versickerten Fluss Fausania benannt wurde (was insofern interessant ist, weil Berlusconi gerade zur Volksabstimmung für die Privatisierung des Trinkwassers gerufen hatte, in Tempio Pausania stimmten sie dagegen, man hat offenbar aus der Geschichte gelernt). Hier findet sich neben granitener Altstadtverwinkeltheit, die gar nicht so

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