Rumgurken: Reisen ohne Plan, aber mit Ziel (German Edition)
Augenklappe aus David Lynchs «Twin Peaks», die die total geräuschlose Gardinenschiene entwickelt hat, sich aber gebärdete, als wolle sie ihre Hörer und Leser hypnotisieren und dann lebendig aufessen.
Sie zerstörte durch die Art des Vortrags ihren eigenen Text. Immerhin kam ein Romanesco vor, dieser stinkende Kohl, der zu den wenigen Pflanzen gehört, die «in ihrem Blütenstand gleichzeitig Selbstähnlichkeit und damit eine fraktale Struktur sowie wunderbare Fibonacci-Spiralen aufweisen» (Eleanor Abernathy, «Blühendes Konfekt», KiWi). Dafür einen Pluspunkt von der Jury der Riesenmaschine. Ansonsten ging Rossbacher leer aus. Den Bachmannpreis gewann, wie bekannt, Peter Wawerzenik, der Totengräber, mit einem soliden wie erschütternden Text über eine Kindheit in ostdeutschen Waisenhäusern.
Nächstes Jahr wird dann wieder gegraben, gewaschen, geschwommen, gelesen und in einigen Fällen sogar gewonnen.
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Ausgedzongt in Shangri-La
Die Sehnsucht wird immer groß
sein, größer als die Befriedigung
durch das Erreichen des Ersehnten.
Ich würde einen Atlas heute noch
jedem Reiseführer vorziehen.
Judith Schalansky
Der Zoo von Thimphu, der Hauptstadt Bhutans, ist erfrischend monothematisch. Er reduziert sich darauf, ein einziges Tier auszustellen , wenn man so sagen darf und Tiere damit nicht herabwürdigt. Dieses Tier ist Bhutans Nationaltier, der Takin, man könnte das Mitleid nennen, Mitleid mit einem Geschöpf, das von ästhetischen Gesichtspunkten her neben keinem anderen Tier, außer vielleicht dem Warzenschwein oder dem Pillhuhn, nun ja, attraktiv aussieht. Andererseits, wer bestimmt denn, was Attraktivität und Schönheit ausmacht? Die Tiere selbst mit Sicherheit nicht. Der Takin sieht aus wie eine Resteverwertung des Schöpfers, mitleiderregend und seltsam unproportioniert, halb Elch, halb Wombat, mit dicken Füßen wie ein Nashorn, abschüssigem Rücken und einem gefährlich schlingernden Gang, so als könne es jeden Augenblick umkippen. Es bricht einem das Herz, man kann seinen Blick kaum abwenden, man möchte es am liebsten erschießen – aus Gnade. Nun drängt sich natürlich die Frage auf, ob man den Takin (auch Rindergämse oder Gnuziege genannt) essen kann, ob er in Bhutan gegessen wird, die Franzosen und Australier essen ihre Nationaltiere ja auch. Sie essen ihn natürlich nicht. Wenn man schon so unvorteilhaft aussieht, soll man auch in Ruhe gelassen werden, auf dem Teller zu landen ist nicht die Art Aufmerksamkeit, die diese Tiere sich ersehnen. Außerdem sind die Bhutanesen (Bhotias) Buddhisten und töten demnach keine Tiere (sie essen sie nur). Das Schlachten müssen andere erledigen, Inder, entweder vor Ort, versteckt im finsteren Winkel, oder man importiert die Ware, dann liegen in den Meat Shops neben einem krummen Kuhbein auch ein paar dieser entsetzlichen Pangasiusfischkadaver, von Fliegen bewacht.
Nach Bhutan als normaler Tourist einzureisen ist so einfach nicht. Alle Aufenthalte sind von den Reiseunternehmen Bhutans organisiert und kosten derzeit pro Tag 240 US-Dollar für Einzeltouristen (bei Gruppenreisen können sich die Kosten auf 200 US-Dollar pro Person reduzieren). Dazu kommt das Visum. Oder man ist ein sogenannter Consultant, also ein Gast der Regierung beziehungsweise des Königs, dann entfällt dieser Zwangsumtausch, und wenn man geschickt ist, also einen glaubwürdigen Auftrag hat, lässt sich das auch arrangieren. So hält König Jigme Khesar Namgyel Wangchuck die nassauernden Rucksacktouristen vom Land fern, als Teil des Bruttonationalglücks, ein Ausdruck, den sein Vater Jigme Singye Wangchuck 1972 prägte. Er soll den Lebensstandard in ganzheitlicher, humanistischer und psychologischer Weise definieren und somit dem herkömmlichen Bruttonationaleinkommen, einem ausschließlich durch Geldflüsse bestimmten Maß, einen holistischeren Bezugsrahmen gegenüberstellen. Aber in diesem diffusen Rahmen ist auch und immer noch genügend Platz für Hexenverfolgung, Kindesmisshandlungen in Klöstern, Vertreibung von Hunderttausenden sogenannten Non Nationals, nepalesischstämmigen Bhutanern, immerhin einem Sechstel der Bevölkerung, und eine Währung (Ngultrum), die, frisch aus dem Geldautomaten kommend, verblüffend nach der Mark der DDR riecht. Angenehm an der rigorosen Tourismuspolitik ist indes, dass wohldosiert hauptsächlich begüterte Gruppen von Deutschen, Schweizern, Japanern und Amerikanern ins Land sickern, die nichts kaputt machen, alle
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