Rumgurken: Reisen ohne Plan, aber mit Ziel (German Edition)
ihm, man fühlt sich schuldig, einfach weil es hier so schön ist, ich kann das dieser Idylle nicht antun, dass ich mich so gehenlasse. Wawel tanzt mit einem Tisch, aber der darf das ja, der Bürgermeister lacht jovial, und mir rutscht Frau Strigl gegenüber das Du aus, in dieser Sekunde ist mir das so peinlich wie einem, der jemanden in sein mit Sperrmüll zugestelltes Zimmer einlädt, mit Kartoffeln statt Glühbirnen in den Fassungen, und mir ist das Siezen doch so wichtig, ich würde sogar Tiere siezen, wenn man ihnen dadurch Leid abnehmen könnte. Es wird einfach zu viel geduzt, überall, in der Provinz gar noch mehr, und zu viel geküsst wird sowieso, das sage ich ihr auch, flehentlich, mit dem üblichen Gummigesicht des schlechten Schauspielers, der ich bin, in der Hoffnung, dass sie das Duzen mit dem noch ekligeren Geküsse gleichsetzt und ein Einsehen hat. Aber sie lacht nur hämisch, und als ich sie kurz drauf erneut zu siezen versuche, meint sie nur lakonisch, tja, das ginge nun nicht mehr, so was sei irreversibel, einmal geduzt, immer geduzt, sie heiße übrigens Daniela. Eine Tatsache, die man auch am nächsten Tag leider nicht mehr wegseufzen kann.
Das Jahr, in dem Frau Strigl (Daniela) zurückkam, war, ebenso wie der im selben Jahr stattfindende Songcontest in Düsseldorf, die größte Veranstaltung in ihren jeweiligen Disziplinen seit dem Bestehen. Düsseldorf, ist klar, das ist bekannt, man wollte da etwas Riesiges inszenieren, ein verkrampftes Sommermärchen wie ein paar Jahre zuvor der Fußballsommer, der der Welt auf nervtötende Weise zeigte, dass die Deutschen auch feiern können und Mut haben, lustig zu sein, die besten Gastgeber der Welt sind, niemand sollte sich beschweren müssen, Leid, Krise und hartes Brot sollten zu Hause bleiben, so war’s beim Fußball, so war es bei der Schlagersause auch.
Der Bachmannkampf profitierte natürlich einerseits von dem entspannten Klima in Kärnten, das nach dem tragischen Tod des Landeshauptmanns Jörg Haider mit einem Mal entstanden ist, ein Aufbrechen, selbst die lange umstrittenen zweisprachigen Ortstafeln, die Haider systematisch abzubauen begonnen hatte, waren plötzlich wieder möglich, auch die jahrzehntelang missbilligten modernen Bahnhofsfresken werden inzwischen akzeptiert, man nimmt sie hin, und wenn der Fremde ganz entzückt ist, dann ist man sogar ein bisschen stolz auf sie. Den «Freskenvertilgungsverein» gibt es nicht mehr, krankhafter Freskenhass war gestern.
Andererseits hatte das Bachmannhappening in den letzten Jahren überregional deutlich an Aufmerksamkeit zulegen können, da sind gewisse Zirkel von Literaturhitzköpfen nicht ganz unschuldig, engmaschig vernetzte Gemeinden, die in großen Gruppenverbänden gut vorbereitet anreisen, und die Texte, die an ihnen hängenden Autoren, die Präsentation, die Jurydiskussionen aufs genauste analysieren. Die Tage sind verplant, jeder hat ein Fahrrad, alle Leihräder sind schon Wochen vorher ausgebucht, Taxifahrer schmoren in ihren Wagen wie hartgekochte Eier, acht Stunden Literatur am Tag, dann raus, immer am Lendkanal entlang gen Wörthersee, zum Training für das traditionelle Wettschwimmen am Samstagabend. Danach trifft man sich geschlaucht im Wirtshaus (Der Franzos, Villacher Straße 11, der Schnecken wegen), der Hunger und ein letztes Aufbäumen der Restenergie, die vom aufgeheizten Tag noch übrig bleibt, die ganze Aufmerksamkeit und Hochkonzentriertheit des Tages muss belohnt werden. Am Lendhafen, diesem kleinsten Hafen der Welt, nicht weit vom ORF-Zentrum, mit diesem nur verbunden durch die wundervoll kaputte Sponheimerstraße, die mit gezählten sieben Arten Asphalt geflickt ist, haben sie eine kleine Bühne errichtet, Klappliegestühle ringsum, das gute Stiegl-Bier aus Salzburg wird ausgeschenkt, das hier natürlich Strigl-Bier heißt, der Frau Strigl wegen, im Hafenbecken steht ein müdes Bilgewasser, von Libellen umschnurrt. Ein Passamt ist aufgebaut, vom slowenischen Künstlerkollektiv IRWIN, einer Subdivision des politischen Kunstverbands NSK (Neue Slowenische Kunst), das Passamt ist ein Teilprojekt ihres künstlerischen Gesamtkonzepts, des NSK-Staats. Mitten in der Nacht kann man sich also im Lendhafen Pässe einer Mikronation, eines globalen Staats ohne Territorium und Grenzen, ausstellen lassen, die Schlange vor dem Amt (ein müffelndes Armeezelt) ist überschaubar, aber reißt im Laufe des Abends nie ab. Wir sind jetzt alle ein Volk, und unser Raum ist in uns
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