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Rumgurken: Reisen ohne Plan, aber mit Ziel (German Edition)

Rumgurken: Reisen ohne Plan, aber mit Ziel (German Edition)

Titel: Rumgurken: Reisen ohne Plan, aber mit Ziel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tex Rubinowitz
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immer und überall zu laut, halten sich an kleinen Wasserflaschen aus Plastik fest, ohne zu wissen, was Durst ist, oder hilflos an Pappbechern mit der praktischen, für Komapatienten entwickelten Tülle.
    Man möchte ihnen ein ums andere Mal zurufen:
    «Lernt gehen!»
    «Lasst das Starren!»
    «Ihr werdet nicht verdursten!»
    «Hört bitte endlich auf, so hässlich auszusehen!»
    Aber sie hören nicht zu, weil sie eine andere Sprache sprechen, und diese sehr laut. Das zweithässlichste Sozialgeräusch ist Lachen: Zu 70 Prozent lachen die Menschen aus Verlegenheit und/oder Dummheit, zu 26 Prozent aus irgendwelchen anderen Gründen, die sie vermutlich selbst nicht kennen, die restlichen 4 Prozent lachen über Clowns, die auf Bananenschalen ausrutschen, so ähnlich hat es mal Heinz Strunk formuliert (mal ganz davon abgesehen, dass wohl noch niemand je jemanden irgendwo auf der Welt tatsächlich auf einer Bananenschale hat ausrutschen sehen). Und auch hier, wie in allen Rudeln, gibt es einen Chef, der als Erster lacht, dann lachen alle mit. Die Leute denken immer, dass diese Person, nennen wir sie Meinungsführer, einen Witz, eine Idee oder was auch immer am schnellsten begriffen hat, aber oft ist das nur ein gehorsames, vorauseilendes, dünkelhaftes Lachen, damit auch jeder erkennt, wer hier das Alphatier ist. Letztlich läuft alles darauf hinaus, dass der Witz eine Art Währung ist, und das Lachen sind die Zinsen.
    Das schlimmste Geräusch allerdings ist, wenn Menschen dem Drang nachgeben, vor Publikum zu telefonieren, ich nenne es mal: Die exhibitionistische Stimme. Zur Rücksichtslosigkeit kommt ein, wie ich vermute, massiver Minderwertigkeitskomplex, jetzt sage ich der Gesellschaft mal laut und deutlich, dass ich existiere, aber nicht direkt, sondern mit anderen Worten, «Na, wie hammas?», «Ich bin in 10 Minuten daham», «Was gibt’s zu essen?», «Bussi», «Ich ruf dich an». Soll heißen: Ich habe ein Telefon, also kann mir auch keiner verbieten, zu reden, SO LAUT ES MIR PASST, ich kenne meine Rechte. Telefonierer reden auch grundsätzlich lauter in ihre Geräte als mit einem Gegenüber in der Kohlenstoffwelt, das hat vermutlich damit zu tun, dass sie sich dauerhaft der enormen Distanz zu ihrem Gesprächsteilnehmer gewahr sind. Da bleibt einem ja nichts anderes übrig als zu rufen, wie die Hirten früher von einem Berg zum nächsten. So bekommt ihr kleiner Fetisch inzwischen eine apotropäische Funktion, vergleichbar mit der Schelle, die im Mittelalter Aussätzigen umgehängt wurde, um mit ihrem Geschepper die Umwelt zu warnen.
    Nur wissen sie nicht, dass es kein Recht auf Rücksichtslosigkeit gibt, und deshalb habe ich mir einen Phone Jammer zugelegt. Das ist ein nützliches Gerätchen, damit kann man im Umkreis von zwanzig Metern hässliche Telefonate unterbinden, es zerhackt die Frequenz, und niemand kriegt das mit, weil niemand weiß, wie so ein Phone Jammer aussieht, es könnte genauso gut ein Garagentoröffner sein oder ein Nasenhaarschneider. Phone Jammer sind in unseren Breiten verboten, deshalb muss man sie in Hongkong bestellen, sie kosten umgerechnet nur etwa 27 Euro. Wenn sie keine Rücksicht nehmen können, kann ich das auch, das ist doch nur Notwehr. Es gibt eine Bedrohung und eine Gefährdung durch Geräusche, aber keine durch Stille.

    Einmal fuhr ich mit dem Zug von Wien nach Hallstadt, eine zauberhafte Strecke, bitte umsteigen in Attnang Puchheim . Der Bahnhof Hallstatt ist eine Bootsanlegestelle mitten im Wald, man fährt dann mit einer winzigen Fähre über den See zum unheimlichen Hallstatt, das aussieht wie King Kongs Totenkopfinsel. Ich hatte meinen Phone Jammer, wie üblich bei solchen Ausflügen, bei mir (aufpassen muss man indes, dass nicht das Gerät und der Einsatz desselben zum eigentlichen Zweck der Reise wird), aber der lag im Koffer, als ein etwa siebzigjähriger Mann unerträglich laut zu telefonieren begann, statt Eier zu essen wie in früheren Tagen. Ich war zu müde oder zu apathisch oder von der Landschaft draußen zu sehr entrückt, um den Jammer herauszuholen. Vielleicht war ich auch nur versunken in der immer wiederkehrenden Überlegung, in was ich eigentlich sitze, denn unter uns Eisenbahnexperten besteht Uneinigkeit darüber, ob die Salzkammergutbahn (Abtritt noch mit Gleisbettentleerung) als eine Gebirgsbahn bezeichnet werden darf, auch wenn sie keine wesentliche Höhendifferenz überwindet und das Gebirge stattdessen umfährt. In Attnang Puchheim dann natürlich die

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