Rumgurken: Reisen ohne Plan, aber mit Ziel (German Edition)
geäußerten Satz wohlig suhlte: «Today in the world of freedom the proudest boast is: Ich bin ein Berliner», worauf Tausende in Sportpalast-Stimmung jubelten. Viel zu lange hatte man sich gemütlich mit diesem Satz die Identitätswohnstube eingerichtet, mit der Illusion, man sei etwas, wenigstens ein Bollwerk gegen den Ostblockpopanz. Das weinerliche Mantra ging so: Wir halten für euch unseren Kopf hin! Wenn unsere Tapferkeit nicht wäre, würden wir und mehr noch: ihr, also der Rest des Westens mit Haut und Haaren aufgefressen. Dabei sind Berliner, wie der Journalist Andreas Banaski damals in einem Hamburger Nachrichtenmagazin anmerkte, «dicke Pfannkuchen, aus denen rote Marmelade quillt, wenn du raufdrückst».
Im Jahr, als die Mauer fiel, arbeitete ich bei Ogilvy & Mather, einer wohltuend uninnovativen Werbeagentur in Wien, und sah draußen vor meinem Fenster die wie der Führerbunker aussehende westdeutsche Botschaft, vor der den ganzen Sommer lang Ostdeutsche brav, wie sie es gewohnt waren, in einer langen Schlange aufgefädelt standen, eieräugige Flüchtlinge, die über Ungarn türmen konnten, während ich Radiospots für den Ford Sierra («Fahrkomfort in Reinkultur») schreiben musste, bei dem man jetzt eine doppelt oben liegende Nockenwelle serienmäßig eingebaut hatte, für die da draußen wäre die Materie, mit der ich mich da abplagte, nichts anderes als eine UFO-Bauanleitung gewesen.
Nun wird die Enklave geflutet, dachte ich, und kommt, hoffentlich, zur Besinnung, wacht auf, normale Menschen ziehen nach Westberlin, alles wird wohltuend durchmischt, 28 Jahre dumpfe Isolation hat nun ein Ende, jetzt wird gelüftet.
Doch was dann passierte, war bei weitem schlimmer, als was nach dem Mauerbau so vor sich weste wie ein faules Kuckucksei. Als man nach der Nacht von Donnerstag, dem 9. November, auf Freitag, dem 10. November 1989, verkatert erwachte, ging ein Traum zu Ende, und getreu dem Bibelwort (Jeremia 17,9): Wen Gott strafen will, dem erfüllt er seine Wünsche , begann jetzt erst der ganze Ärger. Wer bisher naiverweise geglaubt hatte, die beiden Berlins ließen sich zusammenstecken wie zwei LEGO-Steine, irrte, denn die Steine in der DDR hießen FORMO, und die waren nicht mit LEGO kombinierbar.
Wackere, verdienstvolle Berliner wie die beiden Musiker der Hardrockgruppe Die Ärzte («Mit dem Schwert nach Polen, warum René?»), Farin Urlaub und Bela B, verließen Hals über Kopf die Stadt. Bela übersiedelte nach Hamburg und gründete die Turbojugend St. Pauli, die Keimzelle aller globalen Turbojugenden, Farin zog nach Amelinghausen in der Lüneburger Heide und heiratete aus Überassimilationsmotiven auch noch eine Heidekönigin, als wolle er den Asbeststaub und den bleiernen Ballast Berlins durch die violette Lieblichkeit des Heidekrauts vertreiben. Beide ahnten, dass die Öffnung ihrer Heimatstadt eine Karawane von Kriegsgewinnlern anziehen würde, sie würden kommen, um ihre Claims abzustecken, wie die Körperfresser in dem bekannten Film aus den Erbsenschoten. Und diese Karawane würde weiterziehen und nur verbrannte Erde hinterlassen wie schon einmal: Stunde Null.
Als ich vor zwei Jahren den in einem Phantasieberlin angesiedelten Roman «Ramses Müller» veröffentlichte, bekam ich kurz darauf eine unerwartete Mail von einer Redakteurin der Zeitschrift GALA:
«… mit großem Wohlgefallen habe ich ‹Ramses Müller› gelesen und es in einem Anfall von Verwegenheit und eigentlich auch nur halb im Ernst als Thema für die GALA vorgeschlagen.
Und siehe: Man war begeistert!
Nun möchten wir Sie gern einmal als Gastautor für GALA gewinnen.
Möglich ist einiges, alles natürlich in Verbindung der Erwähnung Ihres Buches:
Wir haben mal wild vor uns hingedacht:
Vielleicht würden Sie, Herr Rubinowitz, einmal eine Berliner Veranstaltung für uns besuchen und darüber schreiben?
Vielleicht würden Sie mal einen Abend im Borchardt abwarten, schauen und beschreiben?
Oder diverse Berliner Szenetreffs und wer da so abhängt?
Ich bin mir bewusst, dass Sie ja nicht in Berlin, sondern in Wien zu Hause sind, aber Ihr Buch klingt ganz so, als würden Sie Berlin schon auch aus eigener Erfahrung bestens kennen … Und wie weit Sie gehen können … Fäkalien und Geschlechtsteile haben immer so ihre Schwierigkeiten, in die Gala zu kommen, aber ansonsten haben wir schon Humor …»
Ich schrieb noch ein bisschen mit der humorvollen Redakteurin hin und her, sie wollte 7000 Zeichen haben und 800
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