Rumgurken: Reisen ohne Plan, aber mit Ziel (German Edition)
my
existence.
Sophie Calle
Als ich jung war, galt Westberlin als die langweiligste, verstaubteste Stadt Deutschlands. Irgendwie verbummelt, eine ganze sogenannte Stadt wie ein riesiger Schlafsack, das hatte natürlich mit dem Sonderstatus zu tun, alleine nicht überlebensfähig, hing am Tropf, alles musste eingeführt werden. Scharen von westdeutschen Militärdrückebergern verkrümelten sich in dieses muffige Museumsdorf, selbst Städte wie Wuppertal und Wipperfürth waren zumindest frei . Und nun sogar frei von Tagedieben, weil die ja alle nach Berlin zogen. Ich bekam eine Gänsehaut wenn ich mir vorstellte, wie sie da alle abhingen (Rindfleisch hängt ab, damit es mürbe wird), ihre Zigaretten mit fusseligem holländischen Tabak drehten und in ihr abgestandenes Bier (Schultheiss) schwadronierten, eine bleierne Zeit, einziger Lichtblick in jener Zeit, neben David Bowie, der sich eine Weile an den Drogenwracks vom Bahnhof Zoo delektierte, war eine Kinderband namens The Teens (der Schlagzeuger war neun), die Ende der siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts mit «Gimme Gimme Gimme Gimme Gimme Your Love» einen veritablen Ohrwurm ablieferte, ein trotziges, stampfendes Statement melancholischen Hedonismus, etwas, wofür man sich nicht schämen musste. Der damalige Bürgermeister Berlins, Dietrich Stobbe, verlieh ihnen natürlich eilfertig den Verdienstorden des Landes, wenig später stolperte er über die Garski-Affäre, die Stadt hatte für einen insolventen Bauunternehmer gebürgt, der 112 Mio. D-Mark in Saudi-Arabien in den buchstäblichen Sand setzte; es war, als wolle sich Berlin auch mal so etwas Kosmopolitisches wie Korruptionsfilz leisten. Ein paarmal besuchte ich Berlin, allerdings nur den besseren Teil, den Osten, großzügig angelegte, harmonische Bauwerke, weiträumige, moderne Architektur, umgeben von Spielzeugautos in einer Spielzeugwelt, im Fernsehen lief das (bessere) Sandmännchen, Frau Elster, Zu Besuch bei Frau Puppendoktor Pille, Professor Flimmrich, Willi Schwabes Rumpelkammer und Meister Nadelöhr – Besuch im Märchenland, anspruchslose, bescheidene, leicht tölpelhafte, aber liebenswerte Menschen in Synthetiktextilen, die den Vorteil haben, nicht zu stinken, weil der Schweiß nicht ausdünsten kann, sondern unten rausläuft. Neidvoll blickten die Westberliner auf die sie im Würgegriff umklammernde Hauptstadt der DDR, und hilflos blickten sie gen Westen, von wo nur Häme, Hohn und Abschaum kam. Berlinerisch zu reden war verpönt, weil Berlinern das offizielle Staatsdeutsch des Ostens war, da bleibt einem ja nichts anderes übrig, als schizophren zu werden, sie berauben uns sogar unserer Sprachidentität. Der Düsseldorfer Punkmusiker Tommi Stumpff (KFC/Kriminalitätsförderungsclub) empfahl in einem Interview mit der Wochenzeitung DIE ZEIT: «Westberlin samt Punks, Fixer, Türken, Sexshops, Hausbesetzer, Hunde, Dreck, Nina Hagen, Rentner, Künstler und ähnliche Berliner an die DDR verschenken.»
Anfang der achtziger Jahre, als in Berlin alles zerfiel und verrottete (kein Geld da zum Sanieren der minderwertigen Nachkriegsbausubstanz) und die Stadt in den letzten wirtschaftlichen wie kreativen Zuckungen lag, bäumten sich dilettantische Musiker, Irreredende und andere Scheinkreative, also Leute, die beispielsweise durch die Nase rauchen, um ihre Zwangsandersartigkeit zu zeigen, noch einmal auf, um aus dem verkapselten Status quo Nutzen zu ziehen, um irgendetwas Weltläufiges beizutragen, Kaputtheit zu verbrämen, qua Mitleid reüssieren, allen voran eine hässliche Vogelscheuche namens Blixa Bargeld, stets trug er Gummistiefel, jodelte wie Hubert von Goisern und wurde, dank üppiger Subventionsgelder (Senatsrockförderung), in späteren Jahren kugelrund. Selbst den in Duldungsstarre brütenden Berlinern wurde er bald unangenehm, sie nannten ihn Pisse . Alle waren heilfroh, als er irgendwann beschloss, nach Peking zu emigrieren, diese Plage war man los.
Stobbe, Bargeld, der spätere Bürgermeister Momper, im Zoo ein Nilpferd namens Knautschke, Günter Pfitzmann, Edith Hancke, Thomas Kapielski, Bimmel-Bolle, Strohhut-Emil, Zille sein Milljöh, Auge von der Teekanone (legendärer Wirt am Müggelsee), Löffelerbsen, Fischtüfte, Fassbrause, Teltower Rübchen, Hoppelpoppel, Sascha Lobo, Herthafrösche, Zirkus Karajani, Telespargel und der Wasserklops, dit war Berlin, die Bräsigkeit, die sich in John F. Kennedys, Amerikas ranghöchstem Sexstrolch, berühmtem, 1963 vor dem Schöneberger Rathaus
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