Rumgurken: Reisen ohne Plan, aber mit Ziel (German Edition)
dort gibt es dann gleich eine angenehme Überraschung, die Betten sind gar nicht so hoch, so klobig wie Hummerautos, wie man es immer in den Fernsehserien sieht, und sie sind auch nicht mit so vielen sinnlosen Kissen befüllt, die Luxus und Verschwendung vortäuschen sollen, und die Bettdecke ist gar nicht am Fußende quasi mit der Matratze verwachsen, ich finde das nämlich so widerlich, so unhygienisch, so entmündigend, Füße wollen atmen, müssen sich bewegen, Füße sind doch Lebewesen, sollten wir unsere Füße nicht lieben? Huch, ich klinge ja wie ein Podophiler, ein Fußfetischist, aber dieses eigenartige Verhältnis zu Füßen in diesem prüden Land ist schon auffällig und führte vermutlich auch dazu, dass in populären amerikanischen Fernsehserien («King of Queens», «Two and a Half Men») die Leute immer in Socken (vorzugsweise weißen) zu Bett gehen. Das Hotel Zp ist also gut zu Füßen. Nächste Überraschung: Sie haben im Hotelfernseher einen polnischen Sender, als einzigen europäischen, und ich hänge gleich nach meiner Ankunft gebannt vor einer polnischen Waldkauzdoku, von der ich mich nicht lösen kann. Von den slawischen Sprachen ist ja, da muss man sich nicht lange streiten, Polnisch die geschmeidigste, und dann der Waldkauz, acht Eier in dieser engen Baumhöhle, ausgebrütet, gepäppelt, und dann frisst ein Luchs die Mutter, weil sie sich unvorsichtigerweise zu lange am Boden damit beschäftigt hat, die Maus artgerecht zu töten, das letzte widerliche Bild ist das des die Eule mampfenden Pinselohrs, blöde glotzend, das Maul voller Federn, als Nachspeise gibt’s dann noch die Maus obendrauf, mir wird übel und es bricht mir das Herz, ich muss raus, muss ins Städtchen, Hunger hab ich außerdem, jetzt aber nicht angeregt durch den polnischen Tierfilm.
Cleveland ist phantastisch, alles so dermaßen kaputt, kariös, korrodiert, sagenhaft, ich liebe das, man kommt aus dem Staunen nicht heraus, wie viele Facetten der organischen Zerstörung unorganischen Materials existieren. Ich sah kein gerades Haus, alles verbogen, gekrümmt, ich sah gar ein Haus gewissermaßen kotzen, es wurde einfach eines Teils von sich überdrüssig und spie es von sich. Cleveland ist eine Stadt, die sich, so scheint es, gerade selbst verdaut.
Ich gehe in ein Schnellrestaurant namens Pizza Hat. Zunächst denke ich, das ist eine legasthenische Entgleisung, aber dann setzt es sich in der Speisekarte fort, zu trinken gibt’s Cuke und zum Essen eine Pizza mit Mashrooms. Vielleicht ist das hier Konzept, Teil eines anstrengenden linguistischen Eventgastronomietrends, aber ich will irgendwie keine Pizza. Hatte ich nicht in Wolfgang Büschers Amerikaspaziergangserzählung «Hartland» gelesen, dass die da tonnenweise Analogkäse draufpappen, nichts als Rindertalg und Lab, zäh wie Gummireifen, während der Boden dick und weich ist wie Kuchen? Ich kaufe mir lieber in einem dieser winzigen sogenannten 24/24-Läden (was das wohl heißen mag, 24 Stunden offen, aber nur an 24 Tagen?) zwei Kakis und einen halben Liter Kefir, der hier überall angeboten wird, auch etwas, was man ja nicht auf Anhieb mit Ohio verbinden würde. Die Leute in dieser phantastischen Stadt, und vermutlich auch im restlichen Land, registriere ich, in meine Kaki beißend, haben alle ganz runde Köpfe und lachen nie. Sie starren einen mit nackten Blicken an, aus ihren mondförmigen Geigendiebengesichtern. Moment, Geigendiebe, hab ich das eben gedacht? Welcher Satan macht mich so denken?
Ich treffe ein paar Schweizer Bekannte; sie nehmen teil an einer internationalen Kunstausstellung namens «Artisterium», die über die ganze Stadt verteilt ist, in verschiedenen Galerien, Museen, verlassenen Lagerhallen und anderen gewärmten Orten. Die Schweizer stellen in der renommierten Picture Art Gallery aus.
Da ist zum einen Thomas Haemmerli, den man auf gar keinen Fall beim Vornamen nennen darf, dann wird er böse, nur Haemmerli (Das Hämmerchen), er war schon vieles in seinem Leben, gründete eine Zeitung, arbeitete als Filmkritiker und Frankreichkorrespondent fürs Schweizer Fernsehen, auch hat er einen Dokumentarfilm über die Entsorgung des Besitzes seiner toten Messie-Mutter gedreht, der Film heißt «Sieben Mulden und eine Leiche». Mit ihm ist seine Freundin Ana Roldan gekommen, sie ist einen Meter vierzig groß, Mexikanerin und will mir weismachen, dass ihr Vorname das Akronym der japanischen Fluglinie All Nippon Airways ist. Auch sie stellt hier aus,
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