Rumgurken: Reisen ohne Plan, aber mit Ziel (German Edition)
hat sie der Blaublütler als Souvenir mitgehen lassen, schon mal daran gedacht?), ihr Fahrer habe geflucht, wie die sich aufgeführt habe auf der Fahrt von Perückenknüpfer zu Perückenknüpfer, er habe schon Elton John gefahren, aber so was sei ihm noch nicht untergekommen. Nach der tieferen Bedeutung des letzten Satzes frage ich lieber nicht, weil darin so viel zaubrischer Interpretationsspielraum residiert. Fuhr der Taxifahrer etwa ausschließlich Haarteiltouren durch die Limmatmetropole an der Siehl?
Ich habe aber jetzt, und das ist gar nicht mal unangenehm, diese irre Zeile aus Billys Lied im Ohr «The longer you’re gone / I’ll hunger and shake / From Warsaw to Rome / I’ll wait out of time», und gehe benommen ins Hotel Zp, kaufe mir noch ein paar Kakis und einen Liter Kefir für die Nacht, beim Einschlafen denke ich angestrengt über die Zugverbindungen von Warschau nach Rom nach.
Am nächsten Tag ist Ausstellungseröffnung, zur Mittagszeit, sie wird von den Clevelandern nur so gestürmt, sie scheinen regelrecht ausgehungert nach Kunst zu sein. Der Schweizer Honorarkonsul und seine Gemahlin sprechen mich an, ob ich Dieter Meier sei, was für eine groteske Verwechslung! Ich spiele sie leider nicht weiter, vielleicht findet Dieter den Identitätstausch nicht so gut, sage, ich sehe in ihrer Vorstellung vielleicht aus wie jemand, der Dieter Meier heißt, heiße aber Müller, Ramses Müller, und deute auf Dieter, der mich wieder strafend anschaut, was habe ich denn jetzt schon wieder verbrochen?
Ich bleibe nicht lange bei der Ausstellung, es sind mir einfach zu viele Menschen, lieber erkunde ich die Stadt, die Rock’n’Roll Hall of Fame schenke ich mir, es ist nicht anzunehmen, dass sie dort irgendetwas oder -jemandem huldigen, der mir wichtig ist, ich könnte mir sogar vorstellen, dass sie aus Trotz die wirklich relevanten Söhne der Stadt, Pere Ubu, ignorieren. Stattdessen gehe ich zum berühmten, brutalistischen Ministry of Highway Construction (Verwaltungsgebäude des Ministeriums für Straßenbau) von George Tschachawa aus dem Jahr 1975. Das Grundstück liegt außerhalb des Stadtzentrums, man kann da mit öffentlichen Verkehrsmitteln gar nicht hin, kein Bus, U-Bahn sowieso nicht, nur mit dem Auto oder zu Fuß. Der verschachtelte Klotzhaufen klebt an einem Hang und steht auf Stelzen, die Landschaft «fließt» ungehindert unter dem Gebäude hindurch, inklusive eines kleinen Bachs. Hier stand El Lissitzky Pate, der russische Konstruktivist, der 1924 seinem «Wolkenbügel» eine formal ähnliche Struktur gab, als Antithese zum Wolkenkratzer. Idee ist es, durch die Aufständerung weniger Grundfläche zu verbrauchen, sodass der Raum unter dem Gebäude der Natur zurückgegeben werden kann, was ein bisschen albern ist, weil hier am Stadtrand sowieso noch genug Raum ist. Tschachawa behauptet indes, sein Konzept beruhe auf dem Prinzip des Waldes. Die Ständer entsprächen den Baumstämmen, die daraufliegenden Riegel den Kronen; aber so was muss er sagen, um dem ganzen, an und für sich schon prachtvollen Gebäude noch ein paar profane Bilder aufzupfropfen, damit der einfache Mann von der Straße, der sich so vor Beton fürchtet, auch etwas davon hat. Zwischen Grund und der Baumkrone (immerhin 18 Stockwerke) gebe es offene, lichte Freiräume, wo sich die Nutzer wohlfühlen sollen. Aber welche Nutzer? Wie kommen die da hin? Eingeklemmt sind die Schachteln in der Gabelung zweier stark befahrener Autobahnen, die zu queren einem Selbstmordkommando gleicht, die Fahrbahn voller Löcher, von den rasenden, dreckigen Autos im Reißverschlussprinzip umkurvt. Alles ist staubig, laut und gefährlich, und trotzdem wurde das Gebäude hier in der schwer zugänglichen Peripherie 2010 von OMA (Office for Metropolitan Architecture) unter der Aufsicht von Rem Koolhaas frisch renoviert, nachdem es 2007 als National Monument unter Denkmalschutz gestellt worden war, die Oase des Brutalismus inmitten von sich, auf alles, was steht und sich bewegt, niedersenkenden Schwaden von Krach und Staub. Wie wohl Rems OMA hier täglich hergelangt sein mag?
Auf dem Rückweg tun mir meine Schuhe leid. Ich bin so weit in ihnen hier rausgelatscht, jetzt sind sie dreckig und staubig, und als ich an einem Schuhputzer vorbeikomme, mich auch schon auf seinen Thron zu setzen anschicke, scheucht der mich weg wie eine Fliege. Wie demütigend das ist, wie minder man sich vorkommt, auch wie sehr man sich vor seinen Schuhen schämt, es tut mir leid,
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