Rumgurken: Reisen ohne Plan, aber mit Ziel (German Edition)
beiden Gründer von Depeche Mode aus Basildon, Essex. Vince stieg gleich zu Beginn wieder aus, da waren ihm zu viele Egos in der Band, jetzt machen sie wieder gemeinsam Musik, mir nimmt’s den Atem bei der Vorstellung, die beiden scheuen Sympathler gemeinsam auf der Bühne zu sehen.
Seit zwei Jahren gilt am 11.11. in der Innenstadt Kölns totales Glasverbot. Man darf keine Gläser und Flaschen und vermutlich auch keine Aquarien mit sich führen, die Verletzungsgefahr sei zu hoch, heißt es in einem diesbezüglichen Dekret, die Stadt habe sich in den vergangenen Jahren an diesem Tag in ein gefährliches Scherbenmeer verwandelt. Natürlich hält sich niemand an das Dekret, so viel Glas kann kein Glascontainer halten, wie man dann auf den Straßen sah, und das Dekret west jetzt vermutlich in einer Dekrettonne, an der streunende Hunde ihr Bein heben.
Und wie jedes Jahr wird die Stadt von einer aggressiven Fröhlichkeit heimgeholt, der man sich so wenig entziehen kann wie einem grauenvollen Flugzeugabsturz, maskierter Selbsthass, Lebensvernichtung, die verschmierte Fratze des Clowns, das ganze Hirn weggelutscht, das gnadenlose Ende unserer eigenen Unlösbarkeit. Und vor dem Fenster der Bar, in der man gerade sitzt und Bier aus einem Reagenzglas trinkt (Kölsch), kotzt eine Nonne, am helllichten Tag. Wir leben falsch, und alle wissen das, und es gibt keine Alternative dazu. Die Menschen sind falsch, alle. Das ist die zentrale Botschaft des Karnevals.
In einem Interview mit dem Bumsmusiker HP Baxxter erklärte der Künstler Albert Oehlen diesem die Essenz dessen, was sich da abspielt: «Beim Kölner Karneval geht es um den Kurzschluss von völliger Idiotie und einem Zen-artigen Gleichmut. Die wirklich guten Lieder haben Weisheit und Stumpfsinn so verschmolzen, dass es unentwirrbar ist. Ich denke da an Lieder wie ‹Wir lassen den Dom in Köln, denn da gehört er hin / Was soll er auch woanders, das macht doch keinen Sinn›. Da kommt man auch in eine Trance und verliert das Zeitgefühl.» Der Bumsmusiker sah Parallelen zu seiner eigenen Klientel: «Nehmen wir einen Menschen im Publikum, der Probleme hat und sich zergrübelt. Für denjenigen kann es von enormem, rettendem Vorteil sein, sein Hirn an der Garderobe abzugeben und die Sau rauszulassen. Zu viel Grübelei macht die Menschen mürbe.»
Auch ich bin mürbe, aber mürbe vor Wonne. Nach dem Erasurekonzert, im Café Storch, treffe ich mich zur Manöverkritik mit den immer wieder in Köln ihr karges Arbeitsexil fristenden Hamburger Musikern Felix Kubin, Schorsch Kamerun und Richard von der Schulenburg. Ihnen trieft die Seligkeit förmlich aus Aug und Ohr, sie sind weich und einsichtig wie von Engeln geküsstes Fallobst. Sie sind mit dem Fahrrad ins Storch gekommen, zu dritt auf einem, ich kam mit dem Taxi, ich weine lieber im Taxi als auf dem Rad. Wir fragen den DJ nach Erasures «Give a little respect», er erfüllt uns den Wunsch mit wissender Generosität, wir grölen das Lied mit wie läufige Hündinnen, alle freuen sich mit uns, man ist noch vom gerade verglühten Karneval ausgezonkt und demzufolge tolerant.
Die drei später im Lokal zufällig zu uns stoßenden Wiener Synchroniker Maschek , die parallel zum Konzert in der Harald Schmidt Show gastierten (zum respektablen fünften Mal), kommen mit Schmidts Redaktionsleiter Dr. Udo Brömme. Sie lassen sich nicht anstecken von der Atmosphäre, hier weigern sich die Moleküle zu wandern, die Säuerlichkeit der Satiriker, der mit Pathos inkompatible Zynismus, die Last des Daseins, den können wir hier, wir, die Zeugen des Glücks, ihnen nicht wie mit einem Schwamm aus ihren verkniffenen Antlitzen waschen.
Felix Kubin ist ebenso belgienaffin wie ich. Ich kenne ihn schon eine geraume Zeit, war bei seinem allerersten Auftritt in der Hamburger Markthalle, ein rotbackiges, talgiges Bürschchen von dreizehn Jahren, mich erwischte er nach der Show peinlicherweise auf dem Klo beim Masturbieren, aber das tat unserer Freundschaft keinen Abbruch. Er bezeichnet sich selbst als «Wirbelwind am Manual» und «Harte Zelle», kann, wie er sagt, mit seinen Zahnfüllungen Stimmen empfangen, und seine Doktorarbeit «Ist die Sinusschwingung ein akustisches Gespenst des menschlichen Unterbewusstseins?» schmort noch unveröffentlicht auf einer Halde in seinem Kopf. Vor drei Jahren hat er seinen vierzigsten Geburtstag in Brüssel gefeiert, in einer Kugel des Atomiums, man kann sie mieten, handverlesene vierzig Gäste kamen, alle
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