Rumgurken: Reisen ohne Plan, aber mit Ziel (German Edition)
erkennen an ihren phosphorgelben Schutzjacken. Sie machten halt bei den leeren Check-in-Schaltern, kletterten wie Affen darauf herum und brüllten, dass es eine Freude war. Felix eilte zum Geschehen, als reiche Radau schon als Informationsquelle der Beruhigung, ein Flugblatt gesellte sich zu seinen Schuhen. SABENA PAS À VENDRE – L’ÉTAT DOIT NOUS REPRENDRE.
«Euphorie ergreift mich, ich bin sofort solidarisch, womit auch immer. Nachdem meine erste Neugier gestillt ist, tausche ich Geld um, denn es ist klar, dass wir hier noch Stunden herumhängen werden. Die Schweine ziehen mir von 50 Mark ganze 10 Mark für Gebühren ab. Kapitalistische Kellerratten! Egal, ich schnappe mir das Geld und fangen an zu trinken, und zwar belgisches Bier, das schlechteste der Welt. Wie bringt dieses kleine Land es fertig, 1000 eigene Biersorten zu verzapfen? Und fast alles Schrott? Mit Namen wie ‹Kriek›, ‹Het elfte gebod› (das elfte Gebot – Du sollst nicht trinken, hahaha) und ‹Delirium Tremens›, Letzteres eine üble schleimige Flüssigkeit mit 11,6 % Alkoholeinlage, dargereicht, since 1654, in einer schmutzigweißen Flasche mit schwarzen Punkten, deren Inhalt man nicht erkennen, nur befürchten kann.»
Hier nun muss ich bei allem Respekt dem Freund in seinem Furor in die Parade fahren, er, der in meinem Beisein einst in einem Wiener Kaffeehaus zur Melange Nüsse verlangte, und als der Ober diesen Wunsch nicht zu erfüllen gewillt war, einen kleinen gemischten Salat forderte, begleitet von einem so durchdringenden Lötkolbenblick, dass der Ober den Salat dann tatsächlich brachte. Geschmack ist ein zweischneidiges Messer, und auf beiden Seiten ist es stumpf, aber sich als Connaisseur zu gerieren, wenn man selbst schon einmal als Gastrowirrkopf enttarnt wurde, lässt einen auf anderen kulinarischen Rollfeldern nicht unbedingt reüssieren. Das belgische Bier ist gut so, wie es ist, Bier dient dazu, betrunken zu machen, und man braucht sich gar nicht durch die Sorten durchzukosten oder darüber zu echauffieren, ab dem dritten Schluck sollte sowieso egal sein, was man da trinkt, und weil belgisches Bier in so kleinen Maßeinheiten ausgeschenkt wird, kann man sehr kontrolliert betrunken werden. Das Leben in Belgien ist sowieso schon so ereignisarm und eirig, das kompensiert man eben hier mit Spielzeugbier, auch wenn Trinken kein Spiel sein sollte, sondern bitterer Ernst. Wer wirklich schlechtes Bier trinken will, soll nach Skandinavien fahren.
Felix, immer noch am Gespensterflughafen, inzwischen schon die siebte Stunde, berichtet, dass in einer der Fluchten ein barfüßiger Bärtiger ohne Bleibe wie ein Spulwurm zusammengeringelt lag, von niemandem beachtet. Er hatte unverständliche Pappschilder in Sanskrit aufgestellt, anscheinend drohte ihm Abschiebung. Die gestrandeten Fluggäste passierten diese Installation des Elends mit Unbehagen, sie ahnten nur zu gut, was es bedeuten mag, in der Fremde ausgesetzt zu werden. Nach zehn Stunden im rechtlosen Raum und vielen, vielen Bieren, über die er sich ärgern konnte, um den Ärger über den gekappten Anschluss zu kompensieren, Ärger durch Ärger zu neutralisieren, bekam Felix dann doch noch einen Ersatzflug. Fidel, wenn auch völlig geistesabwesend, wankte er zurück in die Empfangshalle. Dort herrschten Sodom und Gomorrha. Trotz des strikten Rauchverbots qualmten die angetrunkenen Mitarbeiter der Konkursfirma wie die Schlote und feierten ihre eigene Entlassung. Aus den Plastikbehältern, die sonst mit Metallgegenständen beim Check-in durch den Scanner gejagt werden, hatten sie lustige Türmchen gebaut. Andere schoben sich auf Bürostühlen durch die Gänge. Um zwei Bongo spielende Südländer saß eine größere Traube wie um ein Lagerfeuer, sie sangen irgendwas von Metallica, dazu kreischte eine deutlich angetrunkene Gewerkschaftsführerin Politisches durch ein Megaphon in die gierigen Objektive der Sendeanstalten. Ihre bleierne Zunge bemühte sich, die richtigen Worte zu finden. Es ist anzunehmen, dass es die abschließenden Sätze aus Felix’ Epistel wohl eher nicht waren:
«Sabena, Du Grande Dame aller Fluggesellschaften! Noch in der Stunde Deines Ablebens hast Du Würde und Anstand bewiesen! Gerne habe ich mich in Deine sterbenden Arme geworfen! Gerne habe ich ein letztes Mal an Deiner alten Brust gesaugt!»
Wenn Ostende im November ein Lied wäre, wäre es zweifellos «I’m not in love» von 10 CC, jemand tut nur so, als sei er nicht verliebt, und hängt doch
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