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Rumgurken: Reisen ohne Plan, aber mit Ziel (German Edition)

Rumgurken: Reisen ohne Plan, aber mit Ziel (German Edition)

Titel: Rumgurken: Reisen ohne Plan, aber mit Ziel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tex Rubinowitz
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seiner Liebe nach, will das Bild der oder des Geliebten nicht von der Wand nehmen, weil es, wie er sagt, einen Fleck verdeckt, diese große Ratlosigkeit, das Flüstern («be quiet»), der endlose Hall, der durch die schmalen Schächte der Stadt wabert, Waschbeton, Häuser ohne Augen, zu wenig Schubladen in den Schränken, der Nebel, der vom Ärmelkanal in die Stadt kriecht und in den kahlen Ästen der Ginstersträucher hängen bleibt. Ich lecke ein paar Tropfen ab, sie sind leicht salzig, wie Tränen, und es bleibt der Eindruck, dass hier nichts mehr blühen wird, der November nie mehr weggeht. Und warum soll auch etwas anderes wiederkommen? Es passt doch alles perfekt zusammen, so etwas kann man sich doch gar nicht ausdenken, und über allem hängt ein eingedickter, dumpf säuerlicher Geruch, zwischen vergorenem Wirsing und stockfleckiger, nasser Wäsche changierend. Die Fähre, die nach Dover ablegt, scheint leer, sie ist vollkommen unbeleuchtet, ein Nebelhorn tutet. Man kann nur etwas vergessen, was man vorher gewusst hat; Ostende scheint schon immer ratlos gewesen zu sein. Ausgemergelte Frauen mit harten, altgerauchten Gesichtern in der Bar Slachtenhuis hinterm Rangierbahnhof, ein schwarz-weißer Borderline-Collie verbellt die Gäste, aber wenn sie mal in diese liebliche Oase des Trübsals vorgedrungen sind, legt er einem den vor Wut schweren Kopf aufs Bein. Wenn man rauchen will, muss man vor die Tür (warum eigentlich?), zu essen gibt’s hier nur kalte Garnaalkroketten (faustgroße, hartfrittierte Klumpen mit kompostiertem Beifang), aber die nicht vorhandene Regierung verlangt es wohl so. Man muss einen schwelenden Aschenbecher mit hinausnehmen, Modell Finnland, also ein umgedrehter Blumentopf, ins Wurzelloch schnickt man seine Asche. Felix schickt eine SMS aus Kattowitz in Oberschlesien, er habe gerade «einen Fünfer» gehabt. Größer könnte die Kluft zwischen ihm und mir in diesem Moment nicht sein, dort die pralle Lebensfreude, hier der rußende Glühstrumpf des Daseins, ausgeleierte Nihilisten, sie trinken Kirschbier, während ich mich frage, wie so ein Fünfer geht, wie viele Frauen, wie viele Männer, wer macht den Rammbock? Mich schüttelt’s bei der Vorstellung, dann doch lieber hier im Slachtenhuis mit all den Nachzehrern, bald bin ich ja sowieso einer von ihnen. Ich schicke ihm nach Stunden, weil mich das Rätsel des Fünfers so hart hernimmt, eine SMS zurück: «Du Eimer», von ihm kommt prompt ein zynisches: «Steck dir einen Besen in den Arsch und feg den Gerichtshof.» Also auf dieser Frequenz wird kein Trost gesendet, kann man von einem kregelen Sarghasser ja auch nicht verlangen. Ich will jetzt Muscheln essen, immer nur Muscheln, ich esse sie bis zu zweimal am Tag, und ich habe das auch jetzt vor. Meine dramatisch schielende Concierge im leeren Vampirhotel warnt mich jedoch, ich müsse aufpassen, man bekommt schnell einen sogenannten Feuerkopf, das glühende Gesicht mit knallroten Flecken übersät, Jodschock, klarer Fall. Die Fritten, die fette Mayonnaise und das süßsaure Kirschbier täten ein Übriges.
    Die Kneipe Stad Oud Kortrijk ist vielleicht das beste Wirtshaus der Stadt. Der herrlich unwirsche Chef, graubrotgesichtig und kahlköpfig wie Nosferatu, manchmal kommt er direkt vom Fischkutter in Gummistiefeln in seinen Resopalladen und bedient auch so, verlangt für das Kwak, das ich bei ihm zur Abwechslung bestelle, Kirschüberdruss jetzt, einen Schuh. Ich verstehe zunächst nicht, und er murmelt in einem altertümlichen Deutsch, das sei eine Art Pfand, zu viele Gäste (vorwurfsvoller Blick) hätten ihm schon die Kwakgläser mitgehen lassen. Den Schuh hängt er an eine Schnur, die er unter die Decke zieht, da baumelt er nun über mir, der Sand rieselt auf den Salat, der ausschließlich aus Kresse besteht. Ich bestelle einen Platvis (Seezunge) mit klobigen Fritten und Mayonnaise, so dick, dass man mit ihr malen kann, das essen hier alle, deswegen kann ich das heute mit den Muscheln lassen, morgen dann die doppelte Jodladung vielleicht, und die Zunge ist wunderbar, ich würde mir am liebsten ein Bett aus ihr bauen. Und mich mit der Kresse bedecken. Kwak, Kresse, Zunge, auch da ist Schwung drin. Ich traue mich nicht, nach oben zu schauen, natürlich habe ich Mitleid mit meinem Schuh. «Warum ich?» Und die gleiche Frage stellt sich mein Fuß, der auf dem kalten Kachelboden steht. «Warum nicht der andere?», von oben und unten also keine guten Schwingungen, das Glück in der Mitte mit

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