Rumgurken: Reisen ohne Plan, aber mit Ziel (German Edition)
dem perfekten Plattfisch kann nicht davon ablenken, also bleibt der Aufenthalt hier kurz.
Ich stochere mir meinen Weg durch den Nebel zurück in die Bleibe, unten ist die Brasserie du Parc, ein Art-déco-Juwel, noch ein Corsendonk Agnus Dei zur Nacht, ein Abteibier, es soll mögliche Schrecken der kommenden Nacht fernhalten, aber prompt kommt mir, als ich mich ins seufzende Bett werfe, das hässliche James-Ensor-Bild (gilbender, billiger Druck) von der Wand auf den Kopf gesegelt. Ich träume, dass die UNO beschließt, Ostende in Suhl umzubenennen, in Belgien die DDR weiterleben darf, ABBA aus der DDR kommen und Agnetha so aussieht wie Margot Honecker, mit geblähtem Unterbauch, einer prachtvollen Erektion also, wache ich auf.
Im Frühstücksraum bin ich der einzige Gast. Es gibt Papiersemmeln, fast leichter als Luft, analogen Käse und einen herrlich dünnen Kaffee. Der Traum von der DDR geht hier also weiter, aber falsch, die Schrippen in der DDR waren ja hart wie Steine, mit denen konnte man Fensterscheiben einschmeißen. Ich brause, wasche mir mit der grünen Flüssigseife aus dem Sensor Soap Dispenser die Haare, mache mich stadtfein. Ich muss natürlich ins Ensor-Museum, und die Sensor-Seife hat mich eben wieder an dieses mein Vorhaben erinnert, das Pflichtprogramm, Ensor, der große Sohn Ostendes, obwohl es wohl niemanden in der gesamten Kunstgeschichte gibt, der dermaßen scheußlich gemalt hat. Ein Witz eigentlich, und man ist ja tolerant, oder glaubt es zu sein, aber hier hört alle Toleranz auf. Ich könnte mir sogar vorstellen, dass das, was Jonathan Richman einst über Pablo Picasso sang: «Well some people try to pick up girls / And get called assholes / This never happened to Pablo Picasso / He could walk down your street / And girls could not resist his stare and / So Pablo Picasso was never called an asshole», für Ensor genau umgekehrt galt. Das Museum ist dann auch eine Farce, da hängen natürlich keine Originalwerke, nur ganz schlecht abfotografierte, teilweise mit Blitzreflex und auf Leinwand gedruckte Bilder, so als würde durch die Verdoppelung der Scheußlichkeiten der Schrecken gebannt. Ich vermisse die Radierung «Le Pisseur» (Der Pisser) von 1887, aber auf Anfrage ist zu erfahren, dass das in Washington DC in der Privatsammlung Keeger hängt. Das Schönste am Museum ist ein riesiger ausgestopfter Hummer nebst ein paar verstaubten Seepferdchen, wohl aus seiner Sammlung, die bauen einen dann doch etwas auf, das Seepferdchen als Hoffnungsspender. Ensor hätte vielleicht besser Seifenspender produzieren sollen, Ensors Sensor Soap Dispenser.
Draußen Nebel, was sonst, graue Menschen führen ihre kleinen Hunde zum Strand, im Schutze des Nebels, die Flut wird die Scheiße schon wegschwemmen. Ich besteige die Kusttram und fahre nach De Panne, einen Meter weiter und man ist in Frankreich. De Panne war mal österreichisch (1782), auch so unnützes Wissen, in Belgien grenzte Österreich an Frankreich. Vor den Toren De Pannes liegt Plopsaland, ein verwaister Vergnügungspark, eine tote Eiderente im Eingangsbereich, was wollte sie hier? Auch hier: kein Trost, etwa durch Kindergeschrei, also wieder zurück nach Ostende, Muschelhunger, Jodgier, Waschbeton.
Ich setze mich in den wunderschönen Tearoom Benny, natürlich nach oben in die Ringgalerie mit verstaubten Plastikfarnen und den ausrangierten Möbeln, von hier schaut man hinunter auf die Manege der roboterhaft Eierlikör löffelnden Rentner, ich werde wohltuend traurig, auf der Speisekarte aber nur Paling und Pladijs, Aal und Scholle, oder aber Waffeln, dick mit Sprühsahne verschmiert, das kommt für mich nicht in Frage. Ich kann mich nicht zwischen den Fischen entscheiden und hole das Foto von meiner Zugbekanntschaft von vor so vielen Jahren hervor, als könne es, könne SIE mir bei der Entscheidung helfen. Immer wenn ich in Belgien bin, nehme ich es mit, in der Hoffnung, sie mal wieder zu treffen, aber das ist natürlich unsinnig. Neben mir steht plötzlich eine junge Kellnerin, fragt, was ich möchte, und sieht das kleine Foto. Sie macht ein merkwürdiges gutturales Geräusch, etwas zwischen Oh und Ah, deutet auf das Foto, sagt: «Mijn moeder», sie muss das nicht übersetzen, ich erkenne die Ähnlichkeit auch so, dieselben rotblonden Haare und das Gesicht so weiß, das wird nie braun in der Sonne. Das ist sie also, ihre Tochter. Ich habe keinen Hunger mehr, will nur ein Bier jetzt, ein Duvel, das hat 8,5% Alkohol und wurde zur
Weitere Kostenlose Bücher