Rummelplatz
etwas überhaupt nicht denkbar gewesen. Der Schmierer Maassen brüllte, unter einer Frau würde er nicht arbeiten, da gehe er eben zur Wismut. Der Holländermüller Otto Zellner, den man überall den ›Herrn Zebaoth‹ nannte, erklärte, das habe man ja nur gemacht, weil ›die Fischern‹ in der Partei sei; unseren Mädels, sagte er, würden sie eins husten! Und der Herr Rat Nüßler würde sich im Grabe drehen wie ein Propeller, wenn er das wüßte!
Auch Ruths Maschinenführer, der alte Graupner, mit dem sie bislang immer gut ausgekommen war, giftete sich. Vielleicht ärgerte er sich, weil Ruth zur Ausbildung in eine andere Schicht wechselte – als ob sie bei ihm nicht genausoviel lernen konnte wie bei diesem Dörner, wenn nicht noch mehr! Als der Werkführer in die Halle kam, sagte er zu ihm: »Da braucht ihr wohl uns alte Arbeiter gar nicht mehr in eurem Arbeiterstaat, was? Diese Rotznasen! Und wer macht die Reparaturen, he?«
Der Werkführer zuckte mit den Schultern. Ihm paßte diese Geschichte auch nicht, aber das band er schließlich nicht jedem auf die Nase. Wenn man eine gute Stellung zu verlieren hat, hält man besser den Mund.
Von einer Stunde auf die andere hatte Ruth eine Schar offener und heimlicher Gegner bekommen; in manchem Gesicht konnte sie lesen: Warte nur ab, du wirst dir schon das Genick brechen. Vögel, die früh singen, holt abends die Katze! – Von einer Stunde auf die andere hatte sie aber auch eine Schar Anhänger gefunden, besonders unter den jüngeren Arbeitern. Der erste Gehilfe Hahner sagte ihr vor fünf, sechs Leuten rundheraus: »Na los, halt die Ohren steif! Wir werden’s den alten Polterköppen schon zeigen!« – Ihre bissigsten Widersacher fand sie sonderbarerweise unter den anderen Pressensteherinnen und unter den Mädels vom Papiersaal. Von den sechzehn Maschinenführern taten elf, als sei sie Luft. |228| In der Frühschichtwoche ging Ruth dreimal wöchentlich nachmittags in den Hüttengrund, das war eine Talsenke hinter dem Werk. Die FDJ-Gruppe hatte im vergangenen Sommer begonnen, einen Sportplatz zu bauen. Den Winter über hatte die Arbeit geruht, aber mit der ersten Frühlingssonne waren die Spitzhacken und die Spaten zurückgekehrt wie zeitige Zugvögel.
Der Bau war seinerzeit auf Betreiben der Fußballer begonnen worden; in der Gruppenleitung hatten sie sich zunächst nicht einigen können, es gab viele Aufgaben, politische Arbeit, man wußte nicht recht, ob der Sportplatz so richtig sei, zumal es im Oberdorf einen Fußballplatz gab und ein paar Kilometer weiter die Wismut ein regelrechtes Stadion baute. Ruth hatte mit ihrem Vater gesprochen, und Hermann Fischer hatte gesagt: Natürlich müßt ihr bauen. Ihr seid jung, seid noch nicht so mit all diesem Kleinkram vollgehuckt wie wir Alten. Schafft etwas, was man sehen und mit Händen greifen kann, je größer, um so besser. Ruth hatte das beinahe wörtlich in der Gruppenleitungssitzung wiedergegeben, und der Sportplatzbau war beschlossen worden.
Ruth holte sich eine Schaufel; das Werkzeug hatte ihnen der Betrieb geliehen. Drüben an der künftigen Aschenbahn arbeiteten einige Jungen aus dem Werk II; ein Stückchen Hang mußte abgetragen werden, das Mittelfeld aufgeschüttet und planiert. Die Jungen arbeiteten wie immer mit Spitzhacken oder Spaten, die Mädchen, die meist etwas später kamen, schippten die Schubkarren voll.
Über Mittag war es warm geworden, für einen Märztag sogar sehr warm. Die Sonne zwängte sich ins Gezweig der Büsche, leckte die letzten Schneekipfel. Den Hang herauf rannte Kinderlachen; im Schulhaus drunten standen die Fenster weit offen.
Ruth kam gern hierher. Einmal der Gruppe und des künftigen Sportplatzes wegen – und der vielerlei Notwendigkeiten, Ursachen, Ziele, die damit verbunden waren und immer |229| wieder neu entstanden; zum anderen aber auch der Schönheit dieses Winkels wegen, in den die Wismut mit ihren ewig steingrauen Halden noch nicht vorgedrungen war. Den Schornstein der Papierfabrik, der über der Hügellehne in gute Höhe ragte, hatte man hinter sich; linksab in der Talsenke leuchtete das rote Ziegeldach der Schule; beide aber gehörten nahezu selbstverständlich ins Bild dieser Landschaft, die einfach und schön war mit ihrem dunklen Wald, ihren graubraunen Bergvorsprüngen hier und da im dünnen Erdteppich, ihren kargen Wiesen. Diese Landschaft war
für
den Menschen, und vieles in ihr war
durch
ihn; ihr Reichtum lag nicht üppig zutage, er mußte erworben werden;
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