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Rummelplatz

Rummelplatz

Titel: Rummelplatz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Bräunig
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sie bedurfte des Menschen, um sich ganz zu erschließen, und der Mensch bedurfte ihrer Ursprünglichkeit und ihrer spröden Harmonie.
    Die Arbeit im Werk war für Ruth oft noch Arbeit im alten Sinn des Wortes, man rackerte seine Stunden ab, die sich eintönig dahinschleppten, notwendig und in ihrer unschöpferischen Monotonie und Mühsal bereits anachronistisch in einem; manchmal aber war sie auch Arbeit in einem neueren Sinn, war Abenteuer und Erfüllung, Spiel und Schöpfung. Dies hier war ein Drittes. Im Kreis der Freunde, inmitten dieser Landschaft wäre Ruth der Gedanke, daß es sich überhaupt um Arbeit handle, beinahe schon absurd erschienen. Es war Vergnügen und Selbstbestätigung, auferlegt in der Freiwilligkeit eines gemeinsamen Planes, den niemand angeordnet, den alle in gleichem Anteil entworfen hatten, war Austragungsort überschüssiger Kraft und Phantasie. Unbewußt fast und allen selbstverständlich, war die Erfahrung, die sich in Arbeiterfamilien immer wieder von den Eltern auf die Kinder überträgt, die von klein auf da ist, wächst und ins Wesen der Menschen eingeht: daß man nichts verbrauchen kann, wenn man nichts geschaffen hat, daß nichts entsteht, wenn man es selber nicht baut.
    Ohne daß es jemand angeordnet hätte, begannen der Maschinengehilfe Konrad von der Kartonmaschine V und |230| der kleine Beimler aus dem Labor einen Wettkampf. Es dauerte nicht lange, bis Konrad mit einer Schubkarre im Vorsprung lag. Ruth nahm ihre Schaufel und ging zu Beimler. Er lockerte mit der Spitzhacke das lehmige Erdreich, in dem stellenweise noch der Frost nistete, sie schippte die Karre voll. Wenn er dann seine Ladung auf einem schmalen Brettersteg hinüberfuhr zu der Senke, die ausgefüllt werden mußte, hackte sie auf Vorrat. Drüben auf dem zweiten Brettersteg karrte Konrad, er schwitzte, das dunkle Haar hing ihm wirr in die Stirn, aber er ließ nicht nach. Als sie den Vorsprung fast aufgeholt hatten, rutschte Beimler mit der schweren Karre vom Steg und kippte die Ladung auf die winterfilzige Grasnarbe. Er schimpfte wie ein Rohrspatz, richtete aber dann die Karre auf und lud von neuem.
    Beimlers Vater war Invalide, er arbeitete als Pförtner im Betrieb, einer der wenigen Genossen der Betriebsgruppe. Hans, der Sohn, war in jenem Jahr geboren, da dem großen Hans die Flucht aus dem Konzentrationslager gelang – die Flucht des Genossen und Namensvetters war für Vater Beimler damals Grund gewesen, dem Jungen seinen Namen zu geben. Und der große Hans, der Divisionskommandeur der Interbrigade, war des kleinen Hans Vorbild geworden, das wußten alle in der Jugendgruppe; so klein und mager er war, so zäh und ausdauernd war er auch; wie schwer ihm seine Ausdauer fiel, sahen nur wenige.
    Er belud die Karre neu, fuhr zur Senke, kam dann zu Ruth zurück. Nach drei weiteren Fuhren hatten sie den Vorsprung endgültig eingeholt. Nun aber holte sich Konrad drüben die Regine Marbach an die Karre, und der Wettkampf begann von vorn. Ruth sah, wie schwer Beimler die Karre wurde, sie hätte ihn gern für eine Weile abgelöst, zugetraut hätte sie sich das durchaus, aber sie kannte seinen Starrsinn und seine Verletzbarkeit und schwieg. Sie stießen nun, etwas tiefer im Hang, auf eine Tonschicht; der Ton hatte sich voll Schmelzwasser gesogen und klitschte schwer an der Schaufel. Auch |231| Konrad und Regine hatten ihre Mühe. Die anderen sahen von Zeit zu Zeit herüber und beobachteten den Kampf. Als Beimler wieder mit der leeren Karre kam, sagte Ruth nun doch: »Hans, laß mich mal ’n paar Fuhren machen.« Er schüttelte den Kopf.
    »Du machst dich fertig«, sagte sie.
    Er schüttelte wieder den Kopf. Er schaffe das schon.
    »Und wenn nicht?« fragte Ruth.
    Aber es war nichts zu machen. Er nahm den Spaten, klatschte den Ton in die Karre, fuhr davon. Sie lagen wieder mit anderthalb Fuhren im Rückstand. Die Spannung des Kampfes hatte nun auch Ruth ergriffen, sie gab sich Mühe, immer ein Stück mehr Boden loszuhacken, als in die Karre passen würde, wenn Beimler zurückkam. Nach jeder Fuhre säuberte sie mit dem Spaten die Schaufel und mit der Schaufel den Spaten. Konrads Vorsprung vergrößerte sich nicht mehr, aber er verringerte sich auch nicht. Dann rutschte Beimler zum zweiten Mal von der Bohle.
    Konrad kam herüber. Er zog sein Klappmesser aus der Tasche und sagte: »Ist ja auch kein Wunder.« Dann kratzte er die festgebackene, von Gras durchwundene Lehmschicht von Nabe und Achse. Regine kam mit einer

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