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Rummelplatz

Rummelplatz

Titel: Rummelplatz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Bräunig
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doch. Solche wie der, da müßten wir mehr von haben. Und das Jahr jetzt, wo du nicht da warst, das ist wohl grade kein gutes gewesen für ihn. Wird der wohl manchmal auch nicht klargekommen sein mit dem, was die so einrühren da oben, das glaub ich schon. Kann man ja auch verstehen, nicht? Ja, und Spieß, den trafen sie überm Frühstück, der sagte: »Was meinst du, ob sie den Loose nun auch, ob der nun wieder rauskommt?«
    Bloß Drushwili, der hatte einen schlechten Tag. Hockte in seinem Verschlag, hatte wenig zu tun, kaute Sonnenblumenkerne, brummte allerlei so Zeug. Vielleicht, daß er nicht recht |576| mitbekam, was eigentlich los war. Seine »Prawda« oder »Iswestija« oder was der so las, würde das ja wohl erst morgen drucken. Kann aber auch sein, der las gar keine Zeitung, der rauchte sie bloß, nicht wahr?
    »Tja«, sagte Fischer, »kannst du dich noch erinnern, wie wir auf der Einunddreißig verschütt gegangen sind?« Und setzte einen Fuß vor den andern, einen vor den andern, ging so über die Schwellen hin, ging voran. Und das vergißt einer natürlich bis an sein Lebensende nicht. »Tja«, sagte Fischer, »ich hab mir da was ausgetüftelt. Mittwoch fährt der Lkw nach Halle, wegen Selbstretter, da fahr ich mit. Da will ich denen das mal vorlegen. Bloß, es müßte vielleicht ’ne ordentliche Zeichnung gemacht werden. Da könntest du mir bißchen helfen, wenn du möchtest. So akkurat krieg ich das alleine nicht hin.«
    »Natürlich«, sagte Christian. »Natürlich gern.«
    »Tja, also wenn du noch nichts vorhast, heute abend?«
    Und das hatte er nicht. Da würde er also gegen Abend mal vorbeikommen.
    Das war so ziemlich alles. Die Produktion lief langsam und stockend, es geschah aber auch gar nichts während dieser Schicht. Ein gequetschter Daumen, ein Schienenbruch, ein Kurzschluß am Werkzeugmagazin. Gegen Mittag setzten sie sich an die Abrechnung. Der Schachtleiterhelfer rief an, wollte wissen, was mit der Förderung sei, so ein Geklecker, solln wir da hinkommen. »Gott ja«, sagte Hermann Fischer. »Hast du denn erwartet heute?« Dann rief noch der Dispatcher an, ein paar Krankmeldungen, eine Umsetzung. Vom ITP ließ sich keiner sehen untertage, und das war weiß Gott neu. »Siehste«, sagte Hermann Fischer. Solch eine erste Schicht hätte sich Christian damals wohl gefallen lassen. Aber heute? Hatte er sich diesen Tag doch ein bißchen anders vorgestellt.

    |577| Als aber Christian Kleinschmidt in Fischers Stube trat, war da einer, den kennt man schon. »Ist der Genosse Nickel«, sagte Fischer. »Und das ist meine Tochter. Und nun wollen wir also erst mal einen Bissen essen, marokkanische Kartoffeln sind uns beschert worden, Kartoffelpuffer, du ißt doch Kartoffelpuffer?«
    Fischers Tochter deckte den Tisch. Es war noch hell draußen, hier aber dämmerte es, die Fenster waren niedrig in Fischers Haus; draußen gurrten die Tauben. Wie das so ist: kleines Gebirgshaus, Häuslerhaus, drei, vier Zimmer wohl, die berühmte Ofenbank. Davon singen die Mundartlieder. Die gehen hauptsächlich auf einen Mann namens Anton Günther zurück, auch Toler-Hans-Tonl genannt. War aber gut hier, gediegen und einfach – so haben die Hiesigen schon vor zweihundert Jahren gewohnt. Das kann man sich ansehen auf alten Bildern im Heimatmuseum. Wobei Fischer freilich kein Hiesiger war, wenigstens nicht ganz. Und hatte wohl auch keine Christpäremäd auf dem Oberboden zu stehen, keine sommers verpackten Engel und Bergmänner aus Lindenholz geschnitzt. Hingegen der große Bauernschrank, der hatte gut und gern seine hundertzwanzig Jahre – derlei hatte einen ja immer schon interessiert. Und diese bejahrte Petroleumlampe. Die wurde wohl nicht mehr benutzt, stand nur so da, ein gutes Stück Arbeit. Und dieses Sofa, das man hier Kanapee nennt, darauf saß Fischers Katze, blinzelte herüber aus mattgrünen Augen, schnurrte.
    Ja. Und Fischers Tochter hatte nun die Tassen auf dem Tisch und die Teller, der Geruch der frischen Kartoffelpuffer erklomm die Stiegen, Hermann Fischer schenkte ein aus der grünen Flasche. Aber dieser Nickel, der nahm keinen. Stand nur so herum, sagte nichts, war sich, scheint’s, selber im Wege. Fischers Tochter hatte wohl auch nicht viel im Sinn mit ihm, wie es schien. Ging ihm sorgsam aus dem Wege mit den Augen, daß ein jeder es sehen konnte, und obschon das keinen was anging, hatte man doch ein merkwürdiges Gefühl |578| dabei. Aber sie mußte ja wissen, weshalb sie ihm nicht grün war. Und man

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