Rune der Knechtschaft
verloren. Wenn er eine Frau wollte, dann nur für eine Nacht - und selbst dafür musste er bezahlen. Oder sie vergewaltigen, dachte er erneut. Das war eine Möglichkeit. Er hatte so etwas zwar noch nie versucht, aber warum nicht? Er hatte schon Schlimmeres getan, und irgendwann musste man schließlich mit allem anfangen.
»Ja, ich nehme es«, sagte er, nachdem er mit dem Schwert einige Bewegungen in der Luft ausgeführt hatte. Das Kupfer am Griff war in der Tat fast verschwunden, aber die Klinge schien von guter Qualität zu sein und war noch immer gerade. Er musste nur die Schneide schärfen.
»Gut«, sagte der Mann und bedeutete ihm, die Waffe zu behalten. »Ich deine Frau gleich aufsuchen. Ihr gehen zu den Bergwerken? Da unten?«
»Den Bergwerken?«
»Der weiße Stein«, erklärte der Mann. »Die Brunnen. Ihr gehen suchen?«
Arekh verstand noch immer nicht. Der Nomade bedeutete ihm mitzukommen, und sie gingen hintereinander durch das Lager und stiegen über die Feuerstellen hinweg. Unterwegs nickten ihnen die Männer zum Gruß zu; die Frauen riefen zuweilen neckische Worte, die ihre Begleiterinnen
zum Kichern brachten. Eine der Frauen zwinkerte Arekh zu und machte ihm in der Verkehrssprache ein Kompliment zu seinen Beinmuskeln. Arekh antwortete mit förmlichen, einstudierten Dankesworten, und die Frauen glucksten noch mehr.
Am Nordende des letzten Lagerplatzes lag, umgeben von Teppichen und Zelten, ein Brunnen. Arekh betrachtete staunend das runde Loch im Boden und die weiße, fein behauene Umrandung. Die Nomaden hatten Fackelhalter aufgestellt, obwohl noch Tageslicht herrschte. Arekh nahm eine der Fackeln und ging näher heran.
Der Brunnen bildete einen vollkommenen Kreis und führte direkt in den Felsen hinab; er schien keinen Boden zu haben. Sprossen aus behauenem Stein führten an der Wand entlang und verloren sich schließlich in der Dunkelheit.
Der Stein der Umrandung erinnerte an die leuchtenden Steine des Alten Kaiserreichs - es war wohl sogar wirklich der gleiche Stein, wie Arekh aufging, als er mit der Hand über die feine, ganz leicht körnige Oberfläche strich. Er würde es erst in der Nacht wissen, wenn er sah, ob dieser Stein in der Dunkelheit leuchtete oder nicht. Der weiße Stein, der das Sonnenlicht des Tages schluckte, um es in der Nacht abzugeben, war so alt, dass niemand sich mehr an seinen Ursprung erinnerte. Manche Priester sagten, dass er den Widerschein des Lichts des toten Mondes in sich trüge - des Mondes des Gottes, dessen Namen man nicht aussprach.
Das Alte Kaiserreich. Warum ein Brunnen genau hier? Der Pass hatte früher vielleicht eine gewisse Bedeutung gehabt. Vielleicht entsprach er der verlorenen Grenze eines vergessenen Gebiets. Die Bilder, die einst in die Steine der Umrandung gehauen gewesen waren, waren mit der Zeit
erodiert, aber Arekh konnte ihre kunstvollen Wölbungen noch unter seiner Hand spüren.
In welche Tiefe führte dieser Brunnen hinab? Arekh hob einen Zweig vom Boden auf und zündete ihn an; er wollte ihn schon hinunterwerfen, als der Nomade ihn aufhielt. Dann deutete er auf Arekhs Ohr, bevor er auf das Loch zeigte. In der Tat hallten darin Stimmen wider und kamen zu ihnen empor. Männer, die Berebeï sprachen. Plaudernd und lachend gelangten sie bald an die Oberfläche, bevor sie den Frauen freundschaftlich zuwinkten, die zusammenströmten, um ihnen zu lauschen.
Der letzte Mann trug ein zum Bündel geknüpftes Seidentuch, dessen Inhalt er unter den erwartungsvollen Blicken auf den nächsten Teppich schüttete. Es waren nur einige Splitter weißen Steins, von weit größerer Reinheit und Leuchtkraft als die des Randes. Die Frauen griffen lachend danach, und die Männer zuckten die Achseln. Arekh verstand ihre Reaktion. Obwohl es sich ohne jeden Zweifel um den Stein des Kaiserreichs handelte, waren so kleine Splitter nicht viel wert. Die Goldschmiede würden daraus hübsche Schmuckstücke für die Aussteuer machen - wenn es bei den Berebeï überhaupt Ehen und etwas wie eine Aussteuer gab -, aber es lohnte sich nicht, in die Ebenen hinabzusteigen und dies hier zu verkaufen. Die Reise hätte viel mehr gekostet als die paar Kupferstücke, die die Steine hätten einbringen können.
»Ich verstehe«, sagte er zu dem Nomaden, der ihn musterte. »Es kommen also Fremde hierher … Und sie suchen Adern reinen Steins?«
Der Mann nickte.
»Nun, wir wollen nur den Pass überqueren«, erklärte Arekh, bevor er sich wieder dem Brunnen zuwandte und sich fasziniert
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