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Rune der Knechtschaft

Titel: Rune der Knechtschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ange Guéro
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getan, sie zu töten - alle drei, wie er bitter dachte. Die beiden jungen Frauen würden einen sanfteren Tod sterben, wenn er ihnen die Kehlen durchschnitt, als wenn sie bei lebendigem Leib von Hunden gefressen wurden.
    Mit finsterer Ironie bemerkte Arekh, dass der Gedanke, die anderen zurückzulassen und allein sein Glück zu versuchen, ihm diesmal nicht gekommen war. In dem Moment, als er den Hang hinabgelaufen war, hatte er eine Entscheidung gefällt, und auch, wenn er weder das »Wie« noch das »Warum« dahinter verstand, blieb er dabei.

    In diesem Abschnitt des Labyrinths waren die Gänge breit und rechtwinklig, mit großen, grauen Bodenfliesen. Keine beengenden Tunnel mehr, sondern echte Korridore, wie die eines Palasts.
    Des Palasts der brüllenden Löwen.
    Sie begannen alle vier gleichzeitig zu laufen, ohne sich abgesprochen oder neuerliches Gebell gehört zu haben. Aber es lag eine Anspannung in der Luft, die sie vorantrieb. Marikani hatte den Arm unter Mîns Achseln hindurchgeführt, und dieser kam trotz seines schlechten Zustands voran.
    Sie passierten mehrere Abzweigungen - breite Gänge mit skulpturengeschmückten Eingängen -, bevor sie eine weitere Kreuzung erreichten, die ebenfalls mit vier Löwenköpfen versehen war. Der Kopf des brüllenden Löwen war über dem gegenüberliegenden Tor in Stein gehauen. Links befand sich ein lachender Löwe, dessen Maul zu einer unmenschlichen Grimasse verzerrt war. Die Flüchtlinge liefen weiter geradeaus.
    Wenigstens hielten sie eine bestimmte Richtung ein.
    Eine Richtung, an die sich die Hunde genauso halten würden wie sie …
    Nur eines hätte ihnen helfen können, nämlich …
    »Wasser«, sagte Marikani.
    Die junge Frau war abrupt stehen geblieben, und Arekh starrte sie verblüfft an. Der gleiche Gedanke war ihm im selben Augenblick gekommen.
    »Wasser«, wiederholte sie. »Nur Wasser könnte sie unsere Fährte verlieren lassen …«
    Da ertönte Gebell, gleich einem abgehackten, fernen, aber ohrenbetäubenden Konzert. Mîn schrie auf. Lionor spannte sich an. Arekh sah, dass Marikani darum rang, Ruhe zu bewahren.

    »Es gab Wasser dort, wo wir die beiden Liebenden - die Berebeï - getroffen haben«, erklärte sie. Sie sprach langsam, als wolle sie so der Aufregung entgegenwirken. »Und wir haben später wieder entsprechende Geräusche gehört, von einem Wasserfall, glaube ich. Ohne Zweifel entspringen hier noch weitere Quellen.«
    »Wenn sie uns nicht mehr riechen sollen, brauchen wir keine Quelle«, knurrte Arekh, »sondern einen richtigen Fluss.«
    Er dachte nach. Mîn hatte seine Wunde an einem Wasserfall ausgewaschen, das Wasser war zur Rechten verschwunden … Wie auch immer, was hatten sie schon zu verlieren?
    Sie machten kehrt, um zur letzten Abzweigung zurückzugehen. Jeder Schritt bedeutete einen Kampf, so unnatürlich schien es, sich umzuwenden und den Hunden entgegenzugehen. Erst, als sie nach links abbogen, fanden sie ihre Energie wieder.
    Und plötzlich überkam sie Panik - blinde, unvernünftige Panik. Sie begannen wieder zu rennen, diesmal so schnell sie konnten, mit aller Kraft, während die Angst an ihren Gedärmen nagte und ihre Lungen brannten. Geradeaus. Noch eine Weggabelung. Weiter geradeaus, immer dem weinenden Löwen nach. Dann, an der nächsten Kreuzung, drängte Arekh sie wieder nach »Süden«, dem brüllenden Löwen nach, ohne zu wissen, warum, abgesehen davon, dass es wahnsinnig zu sein schien, zu lange in dieselbe Richtung zu laufen.
    »Da!«, schrie Mîn plötzlich.
    Wasser? Nein, kein Wasser, sondern eine enge Treppe, die zu ihrer Linken noch tiefer in die unterirdische Dunkelheit hinabführte.
    Sie blieben stehen, zögerten, obwohl sie wussten, dass
Zögern das Letzte war, was sie tun durften - sie mussten in Bewegung bleiben, spontane Entscheidungen fällen … Aber wie konnten sie sich nicht einen Moment lang Zeit lassen, wenn alle kommenden Momente auf dem Spiel standen?
    »Schnell!«, rief Mîn, dessen erschöpftes Gesicht angstverzerrt war.
    Er sah sich nach hinten um. Hatte er etwas gehört? Arekh hatte nicht den Mut, ihn danach zu fragen.
    Lionor strich mit der Hand über die Wände der Treppe und betastete das Mauerwerk.
    »Ist es feucht?«, fragte Marikani mit einem Anflug von Hysterie in der Stimme.
    »Ich weiß nicht!«, schrie die Hofdame, und Arekh dachte, dass er sie gerade zum ersten Mal die Fassung verlieren hörte. »Ich glaube schon … vielleicht. Ach, ich weiß nicht!«
    Marikani ergriff Lionors Hand,

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