Rune der Knechtschaft
Überraschungseffekt zu nehmen. Wir werden ganz einfach die Wahrheit sagen - nein, wir werden die Wahrheit veröffentlichen , Eure Zustimmung vorausgesetzt. Es ist Sitte, bei der Ernennung eines neuen Ratgebers bei Hofe diese Information schriftlich allen Staatssekretären zukommen zu lassen, samt den Gründen für die Ernennung, dem Namen und den Titeln des Neuankömmlings. Ich werde die Gründe für meine Wahl - Eure Kenntnisse über die Innenpolitik von Reynes - erläutern und mit Eurem Namen erwähnen, dass Ihr in den Fürstentümern als Vatermörder und wegen anderer Morde verurteilt seid. Das wird die Ratssitzungen ein wenig beleben«, sagte sie mit einem dünnen Lächeln.
Arekh nickte.
»Ihr müsst bereit sein«, sagte Marikani sanft. »Die Neuigkeit wird sich wie ein Lauffeuer am Hof verbreiten. Ihr werdet Eure Verurteilung in allen Augen lesen - wie damals, als Ihr noch ein Kind wart. Aber wenigstens wird Halios im Prozess das Überraschungsmoment verloren gehen.«
»Gut.« Arekh wich Marikanis Blick aus. »Einverstanden. Ich … Es war mir lieber, dass Ihr Bescheid wisst.«
Er hob den Blick zu ihr und sah, dass sie sehr blass war. Draußen senkte sich die Abenddämmerung herab. »Ihr müsst Euch ausruhen und essen.«
Er hatte vergessen, dass er Hunger hatte, aber als er das Wort »essen« aussprach, fühlte er sich wie betäubt. Ein Umhang bleierner Müdigkeit senkte sich aufs Neue auf seine Schultern. Er wollte nicht gehen, aber er musste sich zurückziehen, bevor sie ihn wegschickte. Bei dem Gedanken, sich draußen den Höflingen und ihren Blicken stellen zu müssen, fühlte er sich krank.
»Es geht schon«, sagte sie lediglich.
Sie war eisig … Nun, wie konnte er ihr das zum Vorwurf machen? Arekhs Unwohlsein wuchs. Er begann aufzustehen, als sich eine Hand auf sein Handgelenk legte.
»O nein, Ihr flüchtet nicht! Wir haben noch zu tun.«
Arekh rührte sich nicht, aber die Hand blieb nur einen winzigen Augenblick lang liegen, bevor Marikani den Sekretär hereinrief, um ein Abendessen zu bestellen.
Der Abend verging mit Treffen, während derer Marikani Berichte ihrer Sekretäre anhörte, sich mit Banh beriet und ihnen Arekh mit wenigen Worten vorstellte. »Arekh es Morales von Miras, ehemaliger Experte in Untergrunddiplomatie aus den Fürstentümern«, sagte sie nur. Arekh schloss daraus, dass sie sich die Enthüllung für später aufhob. Arekh würde in alle förmlichen Verhandlungen und sämtliche Intrigen einbezogen werden, die eine gute Kenntnis der politischen Geheimnisse von Reynes und der angrenzenden Länder voraussetzten.
Obwohl niemand um den Tisch herum etwas sagte, waren alle Blicke auf Arekh gerichtet. Die Sekretäre mussten sich fragen, woher er stammte und ob er eine Gefährdung für sie und ihre Karriere darstellte.
Arekhs äußere Erscheinung trug sicher nicht dazu bei, ihnen Vertrauen einzuflößen. Er hatte in der Botschaft von Reynes neue Kleider angelegt, aber auch die waren grob
im Vergleich zu den feinen, gut geschnittenen Kleidern der Mitglieder des Geheimen Rats der Krone. Außerdem waren Erschöpfung und Reisestaub auf seinem Gesicht und seinen Kleidern so sichtbar wie auf denen Marikanis.
Am Ende war es Banh, der sie zur Ordnung rief. »Ayashinata, erlaubt mir, Euch respektvoll zu bitten, Euch in Eure Gemächer zurückzuziehen. Ihr benötigt Ruhe und müsst Euch umkleiden - Gewänder anlegen, die Eurer Stellung würdig sind. Ihr wisst, wie die Höflinge sind. Die Anzahl der Stickereien und das Funkeln des Schmucks beweisen besser als alle Worte, dass Ihr das Sagen habt.«
Marikani nickte matt, schloss die Sitzung und erhob sich. Die Sekretäre taten es ihr nach und sprachen leise über das Treffen, während Marikani Banh beiseitenahm und ihm ein paar Worte ins Ohr flüsterte, bei denen sie auf Arekh deutete. Banh nickte, gab einige Befehle und bat Arekh dann, im Schreibzimmer zu warten.
Arekh setzte sich zögernd wieder hin. Marikani ging wortlos zur Tür. Dann, im letzten Augenblick, wandte sie sich um und schenkte ihm ein blasses Lächeln.
Im Anschluss folgte sie Banh und verschwand in den Gängen des Palasts.
Draußen jagten Wolken an den Monden vorbei. Eine halbe Stunde später holten zwei Diener mit Laternen Arekh ab, um ihn in seine Gemächer zu führen, drei große, komfortable Zimmer im Ostflügel. Die Diener entzündeten die Kerzen in den Leuchtern und zogen sich dann zurück. Arekh sah einen Geldbeutel auf dem Tisch liegen. Er öffnete ihn und
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