Rune
Hosen und schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht, Chris. Nach dieser Antwort suche ich schon all die Jahre, in denen ich die Geschichte Islands studiere und seine Literatur übersetze. Doch ich fand nie auch nur einen Anhaltspunkt. Ich wünschte, ich könnte dir helfen.«
Ich starrte zu Boden. »Das wünschte ich auch.«
Nach einem Moment merkwürdiger Stille stand er wieder auf. »Aber ich habe etwas, das ich dir geben will. Du weißt, daß die Runen sowohl für Zauber und Flüche wie auch für Inschriften verwendet wurden.«
Ich sah ihn mit geweiteten Augen an.
»Ich weiß nicht einmal, ob du ihn zu deinem Vorteil verwenden kannst, aber ich möchte, daß du den Stein an dich nimmst.«
Ich nickte, immer noch starrend. »Ich weiß nicht, was ich damit tun soll. Ich … ich muß einfach meinem Instinkt folgen.«
»Und das, Chris, ist vielleicht das klügste, was du tun kannst.«
Ich dachte einige Momente darüber nach. Verdammt, ich konnte das Ding noch nicht einmal lesen. Es war nur ein Stein für mich. Doch ich verbannte diesen Gedanken in die hintersten Regionen meines Kopfes.
»Was passierte denn mit Olafs Erzfeind, nachdem er ihn vertrieben hatte?« fragte ich. Es wäre schön gewesen, wenigstens ein glückliches Ende in Verbindung mit dieser Geschichte zu hören. »Thorfinn Schneebart?«
Crighton machte eine ablehnende Handbewegung. »Ach, die Sage erzählt, er sei weiterhin auf seinem geraden und engstirnigen Pfad gewandelt. Es ist uninteressant. Er wollte sich völlig von seinem heidnischen Hintergrund lösen. Der Mann brach tatsächlich die Tradition und führte einen Familiennamen ein, der sich nicht mehr ändern sollte. Weißt du noch, was ich dir vorhin über ihre Methode erzählt habe, aus dem Namen des Vaters einen Nachnamen zu bilden?«
»Sicher.«
»Und genau das tat Thorfinn. Sein Vater hieß Handorr, und so lautete der Name -«
Crighton hielt abrupt inne, als wäre er vom Blitz getroffen worden, und ein gänzlich neues Licht dämmerte in seinen Augen. Ich bin mir sicher, daß es mein eigenes spiegelte, denn all die Geschichten, die mir meine Großmutter als Kind erzählt hatte, kamen wie eine Flutwelle zurück.
»- und so lautete der Name«, flüsterte er heiser, »Handorrsson. Ganz sicher weißt du nicht, ob du … ob ihr vielleicht …«
Ich hielt mich an der Lehne des Sofas fest und tat das einzige, was ich im Augenblick tun konnte. Ich nickte.
36.
Ich kam gerade rechtzeitig zum Essen nach Hause. Ich aß und nahm dann eine Dusche, um den Schweiß der Straße, der sich seit dem frühen Morgen gebildet hatte, abzuwaschen. Während des Abendessens schwieg ich wie ein Grab. Alles, was ich von Crighton erfahren hatte, brauchte noch etwas Zeit, um in meinem Verstand Wurzeln zu schlagen. Ein vollendetes Puzzle hing vor meinem geistigen Auge.
Rache, dachte ich. Das älteste Motiv der Welt. Olaf hatte die letzten Jahrhunderte wartend und zusehend verbracht, um die richtigen Umstände für den Schlag gegen die Abkömmlinge des Mannes, der in aus seiner Heimat vertrieben hatte, abzuwarten.
Doch ein letztes Stück des Puzzles fehlte noch immer. Wie bekämpft man etwas, das über 950 Jahre alt ist? Und ich hatte schon gedacht, Crighton zu finden sei eine schwierige Aufgabe. Dabei war es im Vergleich dazu ein Kinderspiel gewesen. In meinem Kofferraum lag der Runenstein, mit der Axt in eine alte Decke gehüllt. Zauber, hatte er gesagt. Flüche. Wenn ich nur herausfinden könnte, wie ich sie gegen Tri-Lakes benutzen konnte.
Nachdem ich mich abgetrocknet und frische Kleider angezogen hatte, sah ich Licht unter der Tür von Aarons Zimmer. Ich klopfte einmal, sehr leicht. »Ich bin’s.«
»Komm herein«, sagte er, und das tat ich auch. »Du mußt nicht klopfen. So paranoid bin ich nun auch wieder nicht.« Er lag auf seinem Bett, seine Hüfte und Beine waren zugedeckt, und er blätterte durch die neue Ausgabe des Rolling Stone. »So lange, wie du weg warst, hast du ihn vermutlich gefunden?«
»Ja.«
Er ließ die Zeitschrift zu Boden fallen. »Was hat er gesagt?«
»Vieles. Aber zuerst müssen wir uns noch über Hürdenspringer unterhalten. Wir müssen wirklich etwas tun. Er muß raus aus der Geschichte. Selbst wenn wir lügen müssen, um ihm die Polizei auf den Hals zu hetzen. Aber als ich unter der Dusche war, habe ich gedacht, daß es vielleicht das beste wäre, jemanden auf unserer Seite zu haben. Jemand, der die ganze Sache glaubwürdiger macht. Hast du daran Interesse?«
Ein Winkel
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