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Rune

Rune

Titel: Rune Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian Hodge
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daß dieses eisige, bittere Benehmen nur eine Fassade war, wenn auch eine wirkungsvolle. Sobald ich fort war, würde sie wahrscheinlich in einen neuen Strom verletzter und verwirrter Tränen ausbrechen.
    Und alles meine Schuld. Also ging ich besser, solange ich noch konnte.
    Ich zog mich schnell, doch vorsichtig an, sehr vorsichtig, besonders, als ich meine Jeans zuknöpfte. Und dann ließ ich sie in ihrer dunklen Ecke zurück, wo sie den Kopf abgewandt hatte, damit sie mich nicht ansehen mußte. Ich tastete mich durchs Haus, bis ich das Wohnzimmer erreicht hatte, wo das Mondlicht alles mit einem silberblauen Glanz überzog.
    Auch Kodiak an der Haustür.
    Es war wohl das Schuldbewußtsein, das mich ihn fürchten ließ, als hätte er an der Tür Wache gestanden mit gesträubtem Nacken und gefletschten Zähnen, mit tiefer Stimme knurrend.
    Statt dessen stand er auf und wedelte faul mit dem Schwanz, als er auf mich zutrottete. Er schnüffelte an meiner Hand, der Hand, die Minuten zuvor noch sein Frauchen hatte zwingen wollen, sich dem schändlichsten Akt auszuliefern.
    Er sah auf zu mir mit diesem vertraulichen, trotteligen Ausdruck, den Hunde manchmal haben, als wollten sie einem sagen, man könne nichts derart Schlimmes tun, daß man ihre Freundschaft verlöre. Hey, es ist in Ordnung, mach’ dir keine Sorgen. Vielleicht hast du ein paar Probleme, aber mir macht das nichts aus. Du magst mich und ich mag dich, und alles wird gut sein, ja? Ja?
    Ich kraulte seinen Kopf und hätte mich nicht schuldiger fühlen können, wenn der Papst und alle Fernsehprediger ihre Finger auf mich gerichtet hätten, um mich auf ewig zum Fegefeuer zu verdammen.
    »Guter Junge«, murmelte ich ihm zu und glitt dann aus der Tür. Wie oft hatte ich dieses Haus verlassen und mich gefühlt, als hätte ich keine Sorge auf der Welt? Wie ich dieses Mal zu meinem Wagen schlich, das schien mir eine Perversion jener glücklicheren Tage zu sein.
    Als ich losfuhr, wußte ich, daß es zwischen uns vorbei war. Genau wie ich wußte, daß ich Rick nie wiedersehen würde.
    Genau wie ich wußte, daß etwas mich mehr und mehr allein auf dieser Welt ließ.

17.
     
    Der Sonntagnachmittag verstrich, nur dieses Mal konnte man mich nicht zu Hause finden. Aus schierer Rastlosigkeit fuhr ich seit einer ganzen Weile in der Gegend herum. Scheiß auf die Spritkosten, tritt aufs Gas. Eine Zeile aus einem alten Stück von Chuck Berry, das Rick gemocht hatte, tauchte aus dem Nirgendwo auf und hallte in meinem Kopf wie eine Platte, die hängengeblieben war: No particular place to go … Nach der Freitagnacht mit Valerie hatte ich mich so glücklich gefühlt wie ein Mann, den man dazu zwingt, sein eigenes Grab zu schaufeln. Doch gestern hatte ich etwas erfahren, daß mich noch tiefer hinabzog. Ich hatte Stanton auf der Wache angerufen, um zu hören, ob sie bereits den Teich abgesucht hätten. Das hatten sie schon letztes Wochenende getan, und tatsächlich waren sie auf ein Kleidungsstück gestoßen – einen Stiefel für den linken Fuß.
    Dieser paßte zu dem rechten, den Dennis Lawton in der Nacht getragen hatte, in der ich ihn angefahren hatte. Nachdem er ertrunken war.
    Stanton hielt das für eine Übereinstimmung gewaltigen Ausmaßes, wußte aber nicht, wie er alles miteinander in Zusammenhang bringen sollte. Meiner Phantasie ließ ich freien Lauf, doch ich kam auch nicht viel weiter als er. Ich konnte es nicht erklären, noch nicht, doch das bestätigte mir, daß Tri-Lakes tatsächlich ein böser, böser Ort und auf irgendeine Weise die Wurzel all der miesen Wendungen war, die mein Leben in diesem Sommer genommen hatte.
    Auch etwas anderes wurde offenbar. Meine Haltung zu diesem Ort änderte sich. Nicht länger spürte ich vage Furcht und Unbehagen vor Tri-Lakes. Ich wurde wütend. Schließlich war mir selbst nichts passiert. Es hatte sich gegen die gewendet, die mir nahe standen, entweder direkt oder durch mich.
    Und da ich keinen Ort hatte, an den ich gehen konnte, war es wohl Bestimmung, daß ich in Tri-Lakes endete. Ich starrte den Hain an, und die Bäume standen groß und stattlich. So ungerührt, als sei ich eine Ameise, die sich durchs Gras kämpft. Anmaßend – und irgendwie verantwortlich.
    Mehr als je zuvor seit Anfang dieser Prüfung – wann? In der Nacht der Abschlußfeier? – sehnte ich mich nach jemandem, mit dem ich reden, auf den ich mich verlassen, mit dem ich die Bürde teilen konnte. Die Geheimnisse, die ich in mir trug, häuften sich an wie

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