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Rune

Rune

Titel: Rune Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian Hodge
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einen Moment lang. »Nehmen wir an, daß es noch einen Überrest gibt, einen Teil der schrecklichen Macht, die Olaf den Schwarzen antrieb. Einen Teil, der in diesem Baum beherbergt ist, an dem sie ihre heidnischen Riten vollzogen. Und wenn ihm jemand nahe genug kommt, kann er ihn benutzen, um wieder zu leben. Und wenn ein Gastkörper stirbt, kann er einfach den nächsten besetzen, um weiterzuexistieren. Um zu nehmen, was er will, um zu plündern, wie es ihm gefällt.«
    Crighton sah mir direkt in die Augen, und sein Gesicht war so hart wie der Stein in seinem Zimmer: »Er hat Wallhöll gefunden«, sagte er.
    Vermutlich der einzige Wikinger, dem das je gelungen war. So hoffte ich zumindest, und wie ich das hoffte.
    »So denke jedenfalls ich darüber. Ich vermute, daß es ihn zum Chaos hinzieht. Die Wikinger waren tatsächlich, so sehe ich es, keinesfalls die Teufel, als die man sie später dargestellt hat. Sie waren einfach chaotisch. Vielleicht ist es das, was Olaf zurückruft. Er nährt sich vom Chaos im Leben der Menschen. Davon gab es nach dem Tod meines Bruders sicherlich genug in Doris’ Leben.«
    Und nun auch in unserem eigenen Leben. Wir befanden uns in der unsichersten Zeit unseres Lebens, gerade erst aus der High School und auf dem Weg in die Welt. In uns wohnten Befürchtungen und Ängste, die ein Leben lang gereicht hätten. Besonders in Rick, nachdem er sich die Finger gequetscht hatte. Aus anderen Gründen war es dasselbe bei Hürdenspringer.
    »Ich glaube, daß meine Nichte Sarah versucht hat, uns auf ihre Art zu warnen. Sie behauptete, etwas wie einen Bären im Hain und dann im Haus gesehen zu haben.« Crighton rieb sich die Augen. »Und während sie sah, wie Olaf stärker wurde, hielten wir es für die Hirngespinste eines Kindes.«
    Er räusperte sich mit einem lauten, feuchten Geräusch. »Ich versuchte, den Erinnerungen zu entgehen und hatte vor, nach Kalifornien zu fahren. Ich wußte nicht, was ich dort tun wollte, doch es war auch egal, weil ich es sowieso nie dorthin schaffte.« Er klopfte mit den Knöcheln auf sein linkes Bein; es hörte sich hart an, wie Plastik. »Ich hatte einen Autounfall in Colorado, und ich weiß bis heute nicht, was passiert ist. Ich lag mehrere Tage neben einem Berg und verlor mein Bein durch Wundbrand. Ein Geschenk von Olaf. Oder vielleicht eine Züchtigung für meinen Fluchtversuch. Vor manchem kann man eben nicht weglaufen.«
    Wie gut ich das doch wußte.
    Er seufzte und spreizte die Hände. »Jedenfalls sind das meine Geschichten. Ich glaube nicht an Vorsehung, Chris, aber ich glaube, daß Olaf mich ausgewählt hat. Rückblickend frage ich mich, ob der Tod meines Bruders nicht auch damit zusammenhing, um mich in seine Nähe zu locken. Aber ja, Olaf hat mich zu seinem Chronisten erwählt, zu dem Erzähler seiner Geschichte. Als ich zu fliehen versuchte, riß er mich zurück, und ich wußte, daß ich keine andere Wahl hatte, als diese Macht gewähren zu lassen. Also war das mein wahrer Lebenszweck. Um all das weiterzugeben.«
    Mehr als je zuvor fühlte ich Mitleid für diesen Mann. Am Anfang seines Lebens für derart gemeine Zwecke ausgewählt zu werden – aber erging es Aaron und mir da anders?
    Und eine Frage mußte ich mir stellen: Crightons Zweck war ihm bereits klar. Aaron und ich suchten noch den Sinn unserer Rolle. Das Was verstand ich nun. Doch nicht das Warum. Und das sagte ich Crighton auch.
    »Es ist nicht so, als wären wir einfach auf diesen Ort gestoßen und müßten nun dafür bezahlen. Es ist nicht mal so, als ob Olaf das aus Spaß machen würde. Es ist, als ob er mich und meinen Bruder erwählt hätte. Ich meine, alles, was in den letzten Monaten passiert ist, hängt mit uns zusammen. Es ist nicht willkürlich.« Ich hob hilflos meine Hände. »Was zur Hölle soll das alles?«
    Crighton spitzte nachdenklich den Mund und runzelte die Stirn. Schließlich sah er mich an und lächelte freundlich. »Darauf weiß ich keine Antwort. Doch du hast recht, es scheint, als konzentriere er sich auf dich, aber den Grund dafür kenne ich nicht. Du sagst, daß du nordischer Abstammung bist, und ich sehe es auch an deinen Gesichtszügen. Vielleicht ist es das. Und vielleicht ist es nur Zufall.«
    Womit wir soweit wie am Anfang wären, dachte ich mürrisch.
    »Vielleicht wissen Sie darauf auch keine Antwort«, sagte ich langsam, »aber was kann ich tun, um ihn aufzuhalten?«
    Er beugte sich in seinem Stuhl vor, stützte die Ellbogen auf die abgenutzten Knie seiner

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