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Runen

Runen

Titel: Runen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elias Snæland Jònsson
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an der Felswand entlang nach unten. Kurz über dem Grund spürte sie eine deutliche Strömung. Sie versuchte herauszufinden, woher die Strömung kam, und schwamm ihr entgegen. Ihr selbstleuchtender Kompass zeigte an, dass sie genau nach Norden schwamm.
    Nachdem sie einige hundert Meter zurückgelegt hatte, tauchte im schwachen Schein der Stirnlampe eine von vielen Rissen durchzogene massive Felswand auf. Melkorka hielt an, richtete sich im Wasser auf und begann sie zu untersuchen. Vor der Wand gab es einige lange Felsnadeln, die meisten davon umgestürzt. Zwei standen noch aufrecht, und zwischen ihnen gab es eine hohe, schmale Öffnung in der Wand.
    Melkorka schwamm an die Felsnadeln heran und spürte, dass zwischen ihnen Wasser in die Höhle einströmte. Sie |356| paddelte ein wenig zurück und richtete den Lichtstrahl nach oben, um zu sehen, wie hoch die Felsnadeln waren. Der Lichtkegel streifte tiefe, grobe Kratzspuren auf der Vorderseite einer der beiden Felsnadeln. Kratzspuren, bei denen Melkorka deutlich fühlte, dass sie ihr bekannt sein sollten.
    Sie führte den Lichtkegel entlang einer breiten, geraden Linie senkrecht nach oben und nach unten. Am oberen Ende kamen zwei weitere kurze Linien zum Vorschein. Sie waren links und rechts an der senkrechten Linie angebracht und wiesen schräg nach unten. Diese merkwürdige Laune der Natur kam ihr vor wie die Kinderzeichnung eines Pfeils. Oder wie eine Art Hinweis auf die Richtung nach oben, himmelwärts.
    Melkorka schwamm an der Öffnung in der Felswand vorbei, um die andere Felsnadel zu untersuchen, die ebenfalls aufrecht vor der geborstenen Wand stand. Dort erkannte sie deutlich ein anderes Zeichen auf der Vorderseite des Steins: ebenfalls eine senkrechte Linie mit zwei parallelen kurzen Schrägstrichen am oberen Ende, die nach rechts unten wiesen.
    Plötzlich erkannte sie, was sie da sah. Sie glaubte für einen Augenblick noch, dass ihre Phantasie mit ihr durchging. Je länger sie aber auf die Kratzspuren in den Felsen starrte, desto mehr wuchs in ihr die Überzeugung, dass ihr Schluss richtig war. Sie hatte diese Zeichen schon oft in den Tagebüchern ihres Großvaters gesehen.
    Diese Ritzspuren im Fels waren alles andere als kindlich anmutende, natürlich entstandene geologische Strukturen im Fels. Es waren vielmehr zwei Runenzeichen, die in das grobe Lavagestein geritzt worden waren.
    |357| Das linke Zeichen war
Ansuz
a, die mächtige Rune der Asen. Rechts von der engen Öffnung in der Felswand prangte
Tiwaz
t, das Symbol des germanischen Kriegsgottes Týr.
    Die Zauberrunen der uralten heidnischen Götter.
    |358| 79
    Melkorka hielt sich nicht mehr damit auf, sich über den merkwürdigen Anblick auf den beiden Felsnadeln vor der Öffnung weiter den Kopf zu zerbrechen.
    Sie war sich absolut sicher, dass dies die beiden Runenzeichen
Ansuz
und
Tiwaz
waren und nichts anderes. Irgendjemand musste die Runen der nordischen Götter in grauer Vorzeit in die Felsnadeln eingeritzt haben, bevor sich die Höhle mit Wasser gefüllt hatte.
    Die Fragen danach, wer es war und wie, wann und weshalb, mussten dagegen auf einen geeigneteren Augenblick verschoben werden: Ihr Sauerstoffvorrat reichte nur noch für fünfunddreißig Minuten.
    Der Spalt zwischen den beiden Nadeln war schmal, schien aber unendlich tief in den Fels hineinzuführen. Der Lichtschein wurde von dem dunklen Wasser völlig verschluckt, ob Melkorka nun nach oben oder nach unten blickte.
    Das einzig Vernünftige schien, der schwachen Strömung auf Sicht entgegenzuschwimmen.
    Sie stieß sich mit den Flossen vorwärts, griff aber zusätzlich nach Vorsprüngen und Unebenheiten im Fels zu beiden Seiten, um schneller voranzukommen. Manchmal wurde die Spalte so eng, dass Melkorka gerade noch zwischen den Felswänden hindurchkam. Dann wieder erweiterte |359| sie sich so weit, dass das Licht der Lampe die gegenüberliegende Wand nicht mehr erreichte.
    Am meisten fürchtete Melkorka, dass ihr die Zeit davonlief und der Sauerstoff knapp wurde. So arbeitete sie sich wie ein Berserker an der Wand entlang vorwärts.
    Endlich erkannte sie unter sich den Boden der Kluft. Mit aller noch verbliebenen Kraft ihres ausgelaugten Körpers stieß sie sich vorwärts. Als die Tiefe nur mehr einen Meter betrug, konnte sie endlich den Kopf aus dem Wasser heben. Sie ließ sich mit geschlossenen Augen auf die Knie sinken, nahm das Mundstück heraus und versuchte zu atmen. Die Luft in der Felsspalte war kalt und feucht, aber das war ihr egal.

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