Runen
recht erinnere, wurde die erste Kirche auf diesem Berg etwa um dieselbe Zeit errichtet, als sich Ingólfur Arnarson hier in Island niederließ, also in der zweiten Hälfte des neunten Jahrhunderts. Ich habe gehört, dass Santa Maria de Montserrat seit mehr als tausend Jahren der heiligste Ort der Katalanen ist.«
|66| Melkorka öffnete das Fenster, um vor dem Schlafengehen frische Luft hereinzulassen. Die angenehme Ruhe über Heimaey war ein willkommener Kontrast zum ständigen Verkehrslärm in Reykjavík. Trotzdem konnte die Stille ihre Nerven nicht beruhigen.
Sie ließ Wasser in die blitzweiße Badewanne ihres Großvaters ein und tauchte dann bis zum Kinn in dem heißen Wasser unter. Sie hatte Badesalz und nach Rosen duftenden Seifenschaum hinzugegeben. Sie spürte, wie sich allmählich ihre Muskeln lockerten. Erst nach ungefähr einer Stunde Entspannung stieg sie aus dem Bad, trocknete sich sorgfältig ab und fönte sich vor dem Spiegel die Haare. Obwohl sie mit ihrem Aussehen nie ganz zufrieden war, war ihr Körper durchtrainiert und durch das systematische Fitnesstraining drei Mal die Woche im Sportzentrum Laugardalur kräftig. Die dafür nötigen Anstrengungen betrachtete sie wie jede andere Pflicht als ein Opfer, das sie bringen musste, um voranzukommen.
Melkorka blieb vor dem Bett stehen und ließ ihren rosafarbenen Seidenbademantel zu Boden gleiten. Sie spiegelte sich in den blauen Augen ihres Ehemanns. Vor knapp drei Jahren hatten sie einander kennengelernt, als sie Kári nach seinem souveränen Sieg im Speerwerfen bei einem Wettkampf in Deutschland interviewte. Sie hatte sofort gespürt, dass sie einen gefunden hatte, der ihrem Vater, was Männlichkeit anbetraf, ebenbürtig war.
Keiner vermochte besser als Kári, ihre verborgenen Leidenschaften hervorzuzaubern.
|67| 15
Donnerstag, 3. Mai
Melkorka war überrascht, wie schnell ihre Anfrage an den amerikanischen Professor in Heidelberg im Internet die Runde machte.
Ganz offensichtlich hatte Robert M. Houston die E-Mail an andere Experten für Geschichte des Dritten Reiches weitergeleitet. Außerdem hatte er sie an eine Stelle geschickt, die Daten über die SS-Verbände und die deutsche Kriegsmarine verwaltete. Drei Empfänger schickten Melkorka eine Kopie ihrer Antworten.
Die erste Mail kam von einem deutschen Journalisten, der einige Bücher über den U-Boot-Einsatz Deutschlands im Zweiten Weltkrieg geschrieben hatte. Er glaubte, dass er das U-Boot auf Höskuldur Steingrímssons Foto identifizieren konnte:
Nahezu alle Hinweise deuten darauf hin, dass es sich um die U-703 handelt. Dieses U-Boot wurde 1942 in Hamburg gebaut, war die Jahre darauf in Norwegen stationiert und führte erfolgreiche Angriffe auf Geleitzüge durch, die Waren und militärische Ausrüstung nach Russland transportierten. Die Umgebung lässt darauf schließen, dass das Foto in Narvik in Norwegen aufgenommen wurde, wahrscheinlich 1943 oder 1944. Die U-703 unternahm ihre dreizehnte |68| Ausfahrt am 14. September 1944 unter dem Kommando des erfahrenen Kapitäns Joachim Brünner. Zehn Tage später befand sich die U-703 nordöstlich von Island, wo die Besatzung einen Wetterballon aussetzen sollte. Was danach geschah, weiß keiner genau. Die U-703 verschwand, ohne eine Meldung losgeschickt zu haben, und mit ihr die 54-köpfige Besatzung. Für das Verschwinden des U-Bootes wurden damals keine Erklärungen abgegeben. Die Alliierten haben es nicht versenkt. Es könnte aber in einem der Stürme verschollen sein, wie es sie in dem Gebiet dort oben im Winter oft gibt.
Zu den zwei Männern auf dem Bild habe ich keine Informationen. Sie tragen beide die Uniform der SS und gehören deshalb nicht zur Besatzung des U-Boots.
»Also war die letzte Ausfahrt diese dreizehnte«, sagte Melkorka halblaut zu sich selbst, nachdem sie die Mail durchgelesen hatte.
Die nächste Mail kam von einem Archivar der Wehrmachts-Auskunftsstelle in Berlin. Er machte Houston darauf aufmerksam, dass er als Historiker wissen sollte, dass eine schriftliche Erlaubnis der nächsten Verwandten vorliegen müsste, um Informationen aus ihren Datenbeständen über eine bestimmte Person zu bekommen. Aus der Antwort war leicht zu ersehen, dass Houston um eine förmliche Bestätigung der Behörde nachgesucht hatte, dass H. Steingrim während des Krieges Mitarbeiter von Ahnenerbe gewesen war.
Die letzte Antwort auf Melkorkas Anfrage kam von Greta von Trittenheim-Schneider vom Germanischen Nationalmuseum |69| in
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