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Runen

Runen

Titel: Runen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elias Snæland Jònsson
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gekommen?«
    Guðjón wählte seine Worte sorgfältig, damit der Oberstaatsanwalt nicht in Zorn geriet: »Ist deine Tochter im eigenen Auto unterwegs?«
    »Nein«, gab Ámundi kurz angebunden zurück. »Sie hat keinen Führerschein.«
    »Über dreißig und keinen Führerschein?«
    »Ragna hat ihn für kurze Zeit abgeben müssen«, erklärte Herdís.
    Guðjón ging aufs Ganze: »Gibst du uns die Erlaubnis, dass wir uns ihr Zimmer hier und das Atelier in Hafnarfjörður ansehen?«
    »Dazu brauchst du eine richterliche Erlaubnis, mein Bester«, entgegnete Ámundi.
    »Aber es könnte uns kostbare Zeit sparen, wenn wir diese Erlaubnis von dir bekämen.«
    »Hör mal, ich bin hier bei einer Verhandlung am Obersten Gericht und kann mich nicht mehr länger mit eurem Problemchen herumschlagen … Ich verlasse mich also darauf, dass hiermit euer Besuch beendet ist.«
    Der Hauptkommissar gab Herdís das Handy zurück.
    »Ich bitte dich eindringlich darum, uns zu benachrichtigen, wenn du etwas von Ragna hörst«, sagte er und ging zur Haustür. »Es ist äußerst wichtig.«
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    Melkorka klammerte sich an die raue Rinde einer mächtigen Fichte in diesem abschüssigen Gelände und zog sich mühsam hoch. Es tat höllisch weh. Ihr kam es vor, als hätte man sie mit tausend Knüppeln durchgeprügelt. Dennoch konnte sie sich einigermaßen aufrecht halten.
    Und jetzt?
    Vorsichtig tastete sie sich von einem Baum zum nächsten vor, bis sie schließlich den Waldrand erreichte.
    Die asphaltierte Kehlsteinstraße lag direkt unter ihr, aber bis dahin waren es mindestens dreihundert Meter durch überwiegend gefährlich steiles Felsgelände. Immerhin war es teilweise bewaldet.
    Allein und ohne Hilfe da runterzuklettern traute sie sich kaum zu. Doch sie hatte keine Wahl. Sie musste es versuchen.
    Melkorka nahm den Helm ab, legte ihn beiseite und band sich das Haar im Nacken zu einem Knoten. Dann begann sie, sich Schritt für Schritt den Abhang hinunterzubewegen. Sie hielt sich, so gut es ging, an Büschen und Felsen fest. Jetzt kam ihr die Übung im Felsklettern zugute, die sie sich während der zwei Sommer auf Heimaey bei ihrem Großvater erworben hatte. »Denk immer daran: ein Schritt nach dem anderen«, hatte er jedes Mal zu ihr gesagt, wenn sie über ihre eigene Ungeduld gestolpert war. |248| Höskuldur hatte sich in den Felsen ein langsames Vorwärtskommen angewöhnt, was sie immer höchst ungeduldig gemacht hatte. »Es ist besser, hundert kleine Schrittchen zu machen, um ein paar Meter vorwärtszukommen, und tausend kleine Schrittchen, um ans Ziel zu gelangen, als wenige, aber große und dann abzustürzen oder auf halbem Weg aufzugeben.«
    Und drei Stunden später, es ging schon auf Mittag zu, stand sie tatsächlich endlich wieder auf Asphalt. Nachdem sie sich Staub und Erde abgeklopft hatte, schritt sie auf den Parkplatz zu und trat in das mittlerweile schon wieder gehörig angewachsene Touristengedränge vor dem Laden- und Informationsgebäude, das dicht an die Felswand gebaut war. Sie huschte in die Damentoilette und nahm den Rucksack ab. Er war vom Absturz schmutzig und zerrissen. Sie wusch sich, ordnete ihr Haar und rieb die schlimmsten Schmutzflecken vom schwarzen Overall.
    Als sie sich, so gut es eben ging, wiederhergestellt hatte, nahm sie den Rucksack behutsam wieder auf die schmerzenden Schultern. Im Kiosk erstand sie eine Zweiliterflasche Wasser und ein Kopftuch, unter dem sie ihr rotes Haar verbarg. Am meisten machte sie sich darüber Sorgen, dass die Verbrecher, die ihnen in der Nacht die Falle gestellt hatten, möglicherweise immer noch jeden ihrer Schritte beobachteten.
    Als Melkorka aus dem Laden trat, blickte sie sich mehrmals um und schlenderte dann so unauffällig wie möglich auf den Parkplatz. Dort stieg sie in den vordersten Bus, der in zehn Minuten talwärts fahren sollte. Sie nahm einen Gangplatz, behielt den Rucksack fest umfasst auf dem Schoß und trank das kühle Wasser in langen Zügen. Sie |249| konnte es kaum erwarten, wieder in die Zivilisation zu kommen.
    Noch lagen die aufschlussreichen Dokumente über die letzte Mission der U-703 und das Runenlied, das ihr Großvater nach schwieriger Suche in drei Ländern gefunden hatte, im Rucksack. Sie wagte es während der gesamten Busfahrt nicht ein Mal, ihn loszulassen.
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    Der Busfahrer nahm geschickt die scharfen Kurven und Tunnel der steilen Kehlsteinstraße. Als der rote Bus endlich an der Talstation zum Stehen kam, ging Melkorka sofort in eine

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