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Runenschild

Titel: Runenschild Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Königin, die jemals auf Erden gewandelt war.
Sie trug ein schlichtes, hochgeschlossenes weißes Kleid,
ohne irgendwelchen Zierrat wie Spitzen, goldene Borten,
Stickereien, und als einzigen Schmuck ein einfaches Diadem aus Silber, in dem nur ein einzelner, allerdings fast
daumennagelgroßer dunkelroter Rubin glänzte. Sie war
noch immer so blass wie in den letzten Tagen und Lancelot erschrak innerlich, als ihm zum ersten Mal mit aller
Deutlichkeit bewusst wurde, wie schmal ihr Gesicht geworden war. Gwinneth hatte immer schlank, fast zerbrechlich gewirkt, nun aber stachen ihre hohen Wangenknochen
fast durch die Haut, und ihr Nasenrücken kam ihm scharf
wie eine Messerklinge vor.
Sie hatte deutlich mehr Gewicht verloren, als ihm bis
jetzt klar gewesen war. Schmerz und Entbehrung hatten
nicht nur einen bitteren Zug um ihre Mundwinkel gegraben, sondern sich auch tief und vielleicht unauslöschlich
in ihre Augen eingebrannt, unter denen immer noch dunkle, von den Monaten voller Entbehrungen und Hoffnungslosigkeit kündende Ringe lagen. Wäre es der bloße Anblick ihres Gesichts gewesen, so wäre Lancelot nicht nur
erschrocken, sondern regelrecht entsetzt gewesen. Aber da
war noch mehr.
Der eisige Schrecken, der Lancelot anfangs ergriff, hielt
nur kurz vor, wurde dann von dem hinweggespült, was er
bei ihrem Anblick fühlte . Vielleicht zum ersten Mal, seit
sie sich getroffen hatten, erblickte er sie als das, was sie
war und was sie immer bleiben würde: Eine Königin.
Dies hier war ihr Schloss, das Herrschaftshaus ihres Reiches, und obwohl sie nicht auf einem Thron, sondern nur
auf einem einfachen Stuhl saß, strahlte sie eine sanfte Art
von Macht und Güte aus, die so gar nicht zu ihrem jugendlichen Gesicht passen wollte und an der es doch nicht den
geringsten Zweifel gab. Das Gefühl hielt nicht lange vor,
wie alle wirklich intensiven Gefühle, aber für die Dauer
der wenigen Herzschläge, in der Lancelot einfach dastand
und Gwinneth anblickte, waren sämtliche Zweifel verflogen, aller Schmerz, alle Bitterkeit und jedes Hadern mit
dem Schicksal vergessen, denn er wusste einfach, dass
das, was er getan hatte, richtig gewesen war.
Vielleicht hatte er zu viel vom Schicksal erwartet. Vielleicht war seine einzige Aufgabe die gewesen, Gwinneth
hierher zurückzubringen, an den Platz, an den sie gehörte,
und diese Aufgabe hatte er erfüllt.
Dann bewegte sich Gwinneth und der Zauber des Augenblickes brach und verging so schnell, wie er gekommen war, aber es blieb keine Bitterkeit zurück, sondern
nur ein Gefühl grenzenloser Erleichterung, als wäre eine
unsichtbare Zentnerlast von seinem Herzen genommen
worden.
»Lancelot«, begrüßte sie ihn. »Gerade wollte ich Iven
schicken, um dich zu holen.«
»Ich bin ihm begegnet«, antwortete Lancelot.
Er schenkte Patrick und Sean, die ihm gleichermaßen
aufmerksam wie misstrauisch entgegenblickten, ein flüchtiges Nicken und steuerte dann ohne zu zögern den Stuhl
an Gwinneths rechter Seite an; den viel größeren, prachtvoll geschnitzten Stuhl am anderen Kopfende des Tisches,
vor dem bereits ein Gedeck aus purem Gold aufgetragen
worden war, ignorierte er.
Stattdessen umrundete er den Tisch mit schnellen Schritten und ließ sich auf den harten Stuhl sinken, obwohl er
Sean damit praktisch zwang, mit seinem eigenen Stuhl ein
Stück zur Seite zu rutschen. Gwinneth sah ihn einen Moment lang irritiert an, verzog das Gesicht dann zu einer
Miene, die er nicht deuten konnte, und ließ sich ein Stück
zurücksinken.
»Iven ist der Alte, der mir Essen und Kleider gebracht
hat?«, vermutete er.
Gwinneth nickte. Sie wirkte verwirrt und hilflos, als hätte sie eine ganz andere Reaktion von ihm erwartet.
»Ja. Er und seine Familie sind die Letzten, die auf Tintagel zurückgeblieben sind.«
Lancelot rief sich rasch die Szene von vergangener
Nacht ins Gedächtnis zurück. Er war nicht sicher, ob der
andere Mann, den er getroffen hatte, Ivens Bruder oder
Cousin war, aber eine gewisse Familienähnlichkeit war
ihm aufgefallen. Er nickte.
»Aber das wird sich ändern«, warf Patrick ein. »Sean hat
eine der Frauen ins nächste Dorf geschickt. Sie ist vor
einer Stunde zurückgekehrt. Mit guten Neuigkeiten.«
Lancelot empfand einen völlig widersinnigen Ärger auf
den jungen Iren, dass er es wagte, sich in das Gespräch
zwischen Gwinneth und ihm einzumischen. Er ließ sich
jedoch nichts davon anmerken, sondern wandte sich mit
einem Lächeln an Patrick und

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