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Runenschild

Titel: Runenschild Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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tat, und er schämte
sich seiner eigenen Reaktion. »Geh und sag ihr, dass ich
… später zu ihr kommen werde. Ich brauche noch eine
Weile, um mich zu erholen und … und über gewisse Dinge nachzudenken.«
»Ja, das scheint mir auch so«, erwiderte Sean.
Lancelot starrte weiter beharrlich aus dem Fenster und
sagte nichts mehr und nach einigen weiteren Augenblikken hörte er, wie der Ire herumfuhr und das Zimmer verließ. Er hatte fest damit gerechnet, dass Sean die Tür hinter sich ins Schloss werfen würde, doch er zog sie im Gegenteil so leise zu, dass Lancelot das entsprechende Geräusch nicht einmal hörte und sich nach einer Weile umdrehte, um sich davon zu überzeugen, dass er auch wirklich wieder allein war.
Er fühlte sich schlecht. Körperlich, aber viel mehr noch
machte ihm sein Gewissen zu schaffen. Sean hatte die
Wahrheit gesagt: Der Preis, den er dafür bezahlt hatte,
Gwinneth und ihn hierher zu bringen, war zu hoch gewesen. Das Mindeste, was er erwarten konnte, war ein wenig
Dankbarkeit. Wieso also behandelte er ihn jetzt so herablassend?
Lancelot fand auf diese Frage ebenso wenig eine Antwort wie auf all die anderen, die ihn quälten. Und das
Schlimmste vielleicht war: Sie interessierte ihn auch nicht.
Nicht wirklich.
Lancelot stand noch lange und reglos so am Fenster und
blickte auf die Mauern und Türme Tintagels hinab und er
spürte nicht einmal die Tränen, die ihm über das Gesicht
liefen.
    Als es zu dämmern begann, klopfte es erneut an seiner
Tür. Lancelot murmelte ein unwilliges »Herein« und der
grauhaarige Alte, der ihm vorhin das Essen gebracht hatte,
trat ein. Er kam auch jetzt nicht mit leeren Händen, brachte jedoch keine weitere Mahlzeit, sondern einen ganzen
Arm voll sauber zusammengelegter Kleider, die er wortlos
auf Lancelots Bett ablud, um die Kammer dann so schnell
wieder zu verlassen, als liefe er vor irgendetwas davon.
Vielleicht auch vor irgendjemandem. Lancelot war ein
wenig verwirrt, trat aber dann doch an das Bett heran und
begutachtete die Kleidung, die der Alte gebracht hatte. Es
war ein wahrhaft königliches Geschenk: Hosen und Wams
aus feinster Wolle, dazu gefütterte Stiefel aus weichem
Leder und einen dunkelroten Umhang, dessen Kragen und
Ärmel mit kostbarem Pelz besetzt waren.
    Lancelot zögerte im ersten Moment, diese Kleider anzuziehen, die nicht nur aussahen, als wären sie für einen König gefertigt worden – schließlich hatte er Uther gesehen
und wusste, dass der ehemalige Herrscher über Tintagel
zwar ein wenig kräftiger gebaut gewesen war als er, aber
ihn kaum überragt hatte –, doch mittlerweile spürte er die
Kälte mehr als quälend. Wenn schon nicht das Bedürfnis,
sich zum ersten Mal seit Monaten wieder vernünftig zu
kleiden, so brachten ihn am Ende doch seine steif gefrorenen Finger und die zitternden Knie dazu, das zerschlissene
braune Gewand abzustreifen und sich umzuziehen. Er zog
Hose, Stiefel und Hemd an, warf sich nach einem letzten
kurzen Zögern auch den warmen Mantel um die Schultern
und verließ schließlich die Kammer.
    Draußen auf dem Flur war es nicht wärmer als drinnen,
aber der lange fensterlose Gang, der nun vor ihm lag, war
vom dunkelroten Schein flackernder Fackeln erhellt, von
denen nahezu ein Dutzend brannte, und aus der Ferne vernahm er Geräusche und Stimmengemurmel. Geschirr
klapperte und irgendwo lachte ein Kind.
    Das alles klang so selbstverständlich und alltäglich, dass
er um ein Haar wieder kehrtgemacht hätte, um sich in der
Kälte und Abgeschiedenheit seines Zimmers zu verkriechen, denn ihm wurde schmerzhaft klar, dass sie zu einer
Welt gehörten, die nicht mehr die seine war. Aber plötzlich glaubte er wieder Morgaines Stimme zu hören: Jetzt
gehörst du mir!
    Lancelot schüttelte die Erinnerung mit Mühe ab und
straffte mit einem Ruck die Schultern, und sei es nur, um
sich selbst Mut zu machen. Er würde Morgaine nicht erlauben für den Rest seines Lebens seine Gedanken zu beherrschen. Und schließlich konnte er sich nicht für immer
hier oben verstecken.
    Mit Schritten, die deutlich mehr Sicherheit ausstrahlten,
als er in Wahrheit empfand, ging er den Gang entlang und
die schmale gewundene, ins Erdgeschoss führende Treppe
hinab. Er kannte Tintagel nicht, aber das war auch nicht
nötig – er musste nur den Geräuschen und Stimmen folgen, um zu der großen Halle zu gelangen, die fast das gesamte Erdgeschoss des Haupthauses einnahm. Ein Schwall
ungewohnt warmer,

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