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Runenschild

Titel: Runenschild Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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schienen, die sie gestern überschritten hatten; fast meinte man, nur den Arm
ausstrecken zu müssen, um sie berühren zu können. Die
verschneiten Wälder dahinter waren eine gewaltige, schier
endlose Masse, undurchdringlich von hier oben aus betrachtet und unglaublich groß . Für einen Moment fiel es
ihm schwer, zu glauben, dass sie tatsächlich diesen Weg
zurückgelegt haben sollten um hierher zu kommen, und
noch schwerer, dass sie es lebend überstanden hatten.
»Ist es das, was du mir zeigen wolltest?«, fragte er.
Sean schüttelte den Kopf. Er grub eine Hand unter seinem Mantel aus und machte eine flatternde Geste. »Sieh
nach Norden!«
Lancelot musste sich vorbeugen, um zu gehorchen, doch
nachdem er es getan hatte, wusste er, was der Ire meinte.
Winzig klein, Spielzeugen gleich, kroch eine ganze Kolonne von Wagen, Fuhrwerken und Reitern den gewundenen Felsenpfad zur Festung herauf. Lancelot schätzte ihre
Anzahl auf mindestens fünfzig, wahrscheinlich mehr, und
es brauchte keine große Fantasie, um zu erraten, um wen
es sich dabei handelte. Trotzdem fragte er. »Sind das …
Verbündete?«
Sean schüttelte grinsend den Kopf. Ein Hagel winziger
Eissplitter löste sich aus seinem Haar und seinem Bart.
»Untertanen von Lady Gwinneth«, verbesserte er ihn.
»Treue Untertanen. Viel besser als Verbündete.«
»Aber wieso …?«
Wieder unterbrach ihn der Ire. Die Kälte hatte seine Züge erstarren lassen, sodass es ihm schwer fiel, seinen Gefühlen Ausdruck zu verleihen, aber Lancelot sah das begeisterte Funkeln in seinen Augen. »Ich habe dir doch
erzählt, dass wir einen Boten ins Nachbardorf geschickt
haben. Ich hatte gehofft, dass einige zu uns kommen. Aber
das …« Er schüttelte den Kopf. Seine Augen leuchteten
noch mehr auf. »Die Nachricht muss sich wie ein Lauffeuer verbreitet haben. Wir haben jetzt schon genug Vorräte,
um den Winter zu überstehen, und wenn es auch nur einen
einzigen Tag so weitergeht, genug Männer, um die Burg
ein Jahr lang gegen jeden Angreifer zu halten.«
»Es sind nur Bauern und Fischer«, erinnerte Lancelot,
aber Sean war nicht bereit, auch nur einen einzigen Wermutstropfen in seine Begeisterung fallen zu lassen.
»Und mehr ist auch nicht nötig«, erwiderte er. »Alles
andere erledigt diese Festung für uns. Bei Ollathair, ich
habe niemals eine Burg wie diese gesehen. Gib mir ein
Dutzend Männer und ich halte sie selbst gegen König Artus’ Heer.«
Möglicherweise hatte der Ire sogar Recht. Aufgewachsen am Hof des größten Kriegsherren, den dieses Land
jemals gesehen hatte, und in der Gesellschaft der tapfersten der tapferen Ritter, verstand Lancelot notgedrungen
genug von Taktik und Festungsbau um zu erkennen, dass
Tintagel tatsächlich so gut wie uneinnehmbar war; selbst
für ein zahlenmäßig weit überlegenes Heer. Aber sie waren hierher gekommen, um vor dieser Welt, die nur aus
Krieg, Tod und Angst bestand, zu fliehen. Nicht um sie
mit sich zu bringen. Er sprach jedoch nichts von alledem
aus, sondern warf nur noch einen abschließenden langen
Blick über die tief verschneit daliegende Ebene hinter Tintagel, ehe er fröstelnd in den Windschutz der Zinne zurücktrat und sagte: »Hoffen wir, dass es nicht so weit
kommt.«
Sean maß ihn mit einem kritischen Blick. Lancelot sah
ihm an, dass ihm etwas anderes auf der Zunge lag, aber er
antwortete nur mit einem Achselzucken und den Worten:
»Vielleicht sollten wir das besser drinnen bei einem Becher Glühwein besprechen.« Plötzlich grinste er wieder.
»Nicht dass der berühmte Sir Lancelot du Lac uns am Ende noch zu einem Eiszapfen gefriert.«
Lancelot reagierte mit einem eher pflichtschuldigen Lächeln, hatte es aber plötzlich eilig, sich umzudrehen und
wieder zur Treppe zurückzugehen. Als sie den Hof überquerten, frischte der Wind auf und die ersten Schneeflokken sanken aus den Wolken herab. Lancelot hätte die Burg
gerne durchquert, um auch auf der anderen Seite auf die
Mauer hinaufzusteigen und einen Blick aufs Meer hinauszuwerfen, aber er war mittlerweile gar nicht mehr so sicher, dass Seans Worte tatsächlich nur ein derber Scherz
gewesen waren. Vielleicht hätte er besser auf seinen Stolz
verzichten sollen und doch die warmen Kleider angezogen, die ihm Iven gestern Abend gebracht hatte.
Sie durchquerten die Halle und eilten in den großen
Raum, in dem sie gestern Abend gegessen hatten. Lancelot
trat so dicht an den Kamin heran, dass seine Kleider gerade noch kein Feuer

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