Runenschild
fingen, während sich Sean ächzend aus
dem mit Schnee verkrusteten Mantel schälte, ihn achtlos
über einen Stuhl warf und ebenfalls fröstelnd die Hände
aneinander rieb. Gerade als auch er neben Lancelot ans
Feuer treten wollte, kamen die beiden Männer von vorhin
zurück, die ihre Last mittlerweile abgeladen hatten.
Sean machte mitten in der Bewegung kehrt und winkte
sie heran. »Euch schickt der Himmel. Wir sind halb erfroren. Bringt einen Krug Glühwein für Sir Lancelot und
mich.«
Die Wirkung seiner Worte war erstaunlich. Lancelot
drehte sich nicht vom Kamin weg, aber er beobachtete die
Reaktion der beiden Männer aus den Augenwinkeln genau, und er hatte alle Mühe, ein Grinsen zu unterdrücken.
Beide erstarrten mitten in der Bewegung und vor allem
der, der ihn vorhin zur Seite gestoßen hatte, wurde kreidebleich.
»Sir … Lancelot? «, wiederholte er ungläubig.
Lancelot drehte sich nun doch herum und trat ganz neben Sean. Neben dem irischen Riesen musste er noch kleiner und unscheinbarer wirken als vorhin, aber die Gesichter seiner beiden Gegenüber verloren noch mehr an Farbe
und zumindest in den Augen des einen machte sich plötzlich blankes Entsetzen breit.
»Du hast schon ganz richtig verstanden, Freund«, sagte
er lächelnd. »Die Idee mit dem Glühwein klingt prächtig.
Also sei bitte so freundlich und hole uns einen Krug. Aber
mach ihn nicht zu stark – wir haben einen langen Tag vor
uns und brauchen beide einen klaren Kopf.«
Einer der beiden Männer fuhr auf der Stelle herum und
rannte regelrecht aus dem Raum, während der andere
japsend nach Luft rang, einen zitternden Schritt auf ihn
zumachte und dann auf die Knie hinabfiel. »Verzeiht,
Herr«, stammelte er. »Ich konnte ja nicht wissen … ich
meine … ich dachte …«
»Dasselbe, was die meisten meiner Verfolger wohl auch
dachten, wenn sie mich in meiner Verkleidung gesehen
haben«, unterbrach ihn Lancelot. »Genau das war ihr
Sinn.«
»Verzeiht mir, Herr«, flehte der Mann. »Ich wollte Euch
nicht beleidigen. Bitte bestraft mich nicht!«
Sean blickte abwechselnd ihn und Lancelot mit einem
Ausdruck völliger Verständnislosigkeit an und Lancelot
musste nun wirklich all seine Kraft aufbieten, um nicht
breit wie ein Schuljunge zu grinsen, dem ein besonders
derber Scherz gelungen war. »Ich bestrafe dich allerhöchstens, wenn du weiter hier vor mir auf den Knien herumrutschst und dich zum Narren machst. Steh auf!«
Der Mann gehorchte, wenn auch nur zögernd, am ganzen Leib zitternd und ohne Lancelot dabei in die Augen zu
sehen. Plötzlich kam Lancelot sein kleiner Scherz gar
nicht mehr so lustig vor. Der Mann tat ihm einfach nur
Leid. In verändertem Ton fuhr er fort: »Es ist nicht deine
Schuld. Wie hättest du mich erkennen sollen? Also vergiss
es einfach und sei das nächste Mal lediglich ein bisschen
großmütiger, bevor du jemandem, den du nicht kennst,
eine Tracht Prügel androhst. Und fall nie wieder vor mir
auf die Knie!«
»Herr?«
»Weder vor mir noch vor sonst jemandem«, fuhr Lancelot fort, in verändertem Ton, leiser, aber auch ernster.
»Kein Mensch sollte vor einem anderen knien. Wie ist
dein Name?«
»Henry«, antwortete der Mann.
»Henry, so«, wiederholte Lancelot nachdenklich. »Und
was bist du?«
»Ich bin Fischer«, antwortete der andere. »Mein Dorf
liegt eine halbe Tagesreise von hier entfernt.«
»Und du hast alles zurückgelassen und bist hierher gekommen um Lady Gwinneth zu helfen«, stellte Lancelot
fest. »Willst du bleiben oder hast du nur irgendetwas gebracht?«
»Mein Bruder und ich bleiben hier, solange Lady Gwinneth auf Tintagel weilt«, erwiderte Henry. Er wirkte noch
immer verschüchtert, viel mehr aber verwirrt – und ein
ganz kleines bisschen stolz.
»Das klingt gut.« Lancelot deutete auf den Iren neben
sich. »Melde dich später bei Sean. Er soll dich als Hauptmann der Wache einteilen. Du hast Mut. Männer wie dich
können wir gebrauchen.« Er sah dem Fischer an, dass er
seine Verwirrung damit vollends komplett gemacht hatte,
sprach aber nicht weiter, sondern drehte sich demonstrativ
wieder zum Feuer um und nach einem Augenblick vernahm er hastige, sich entfernende Schritte.
»Hauptmann der Wache?«, fragte Sean überrascht. »Du
bist schnell damit bei der Hand, einen Mann zu befördern,
wie?« Er lachte leise. »Hat er dir tatsächlich eine Tracht
Prügel angedroht?«
»Angedroht?« Auch Lancelot lachte. »Wenn ich nicht
schnell genug gewesen wäre,
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