Runenschild
bringt
dich auf die Idee, dass mein Leben mehr wert ist als das
all dieser Männer?«
»Die Tatsache, dass ich dich liebe«, antwortete er. »Ich
würde die Welt in Brand setzen, wenn es sein müsste, um
dich zu beschützen.«
»Und wenn ich das gar nicht will?«
»Auch dann.« Er sah, wie Gwinneth unter seinen Worten
zusammenfuhr, schüttelte den Kopf und erhob sich. Plötzlich war auch ihm kalt, und obwohl er wusste, dass es keine äußere Kälte war, trat er nach einem weiteren Moment
des Zögerns doch dicht an den Kamin heran und hielt die
Hände über die prasselnden Flammen. In diesem Moment
hätte er alles dafür gegeben, das Geräusch zu hören, mit
dem Gwinneth ihren Stuhl zurückschob und aufstand, um
zu ihm zu kommen. Aber er hörte es nicht.
Nach einer weiteren kleinen Ewigkeit und so leise, dass
seine Worte kaum mehr als ein Flüstern selbst in seinen
eigenen Ohren waren, fragte er: »Möchtest du, dass ich
gehe?«
»Gehen?« Gwinneth klang erschrocken. »Aber … aber
warum denn? Und wohin?«
Lancelot hob die Schultern. »Irgendwohin. Wenn du
willst, verlasse ich Tintagel noch in dieser Stunde.« Er
konnte hören, wie Gwinneth zu einer Antwort ansetzte,
drehte sich rasch zu ihr um und fuhr mit lauterer, fester
Stimme fort: »Ich könnte es verstehen. Und ich glaube, du
kannst beruhigt hier bleiben. Sean und sein Bruder werden
auf dich aufpassen, und nicht einmal Artus wird es wagen,
ein Heer nach Cornwall zu schicken, um die Burg seiner
eigenen Frau anzugreifen.«
Gwinneth starrte ihn schreckensbleich an. »Du … du
glaubst … dass ich das will?«, hauchte sie.
Lancelot wusste nicht mehr, was er glaubte. Er schwieg.
Und nach einem weiteren Augenblick stand Gwinneth auf,
kam langsam auf ihn zu und blieb zitternd und in zwei
Schritten Abstand stehen. Mit einer schier unvorstellbaren
Kraftanstrengung gelang es ihr, ihre Züge und selbst ihre
Stimme einigermaßen unter Kontrolle zu behalten, aber in
ihren Augen schimmerten Tränen.
»Oh Lancelot«, schluchzte sie. »Was ist nur mit uns geschehen? Ich würde eher sterben, bevor ich zuließe, dass
du gehst. Weißt du das denn nicht?«
»Nein«, sagte Lancelot. »Ich weiß nichts mehr, Gwinneth. Ich weiß nicht mehr, ob es richtig war, was wir getan
haben, oder falsch. Ich weiß nicht mehr, warum wir hier
sind. Ich weiß nicht einmal mehr, wer ich selbst bin.«
»Dann gib mir die Gelegenheit, es herauszufinden«, erwiderte Gwinneth. »Doch du darfst mich nicht drängen.
Gib mir Zeit, Lancelot. Gib uns beiden Zeit.«
Lancelot versteifte sich innerlich. Ihre Worte taten nicht
einmal mehr wirklich weh. Sie schmerzten, aber sie
schmerzten nur auf einer bestimmten Ebene. Den Panzer
aus Eis, der sich um sein Herz gelegt hatte, vermochten sie
nicht zu durchdringen. »Ganz wie Ihr befehlt, meine Königin«, sagte er.
Der Schmerz in Gwinneths Augen explodierte regelrecht, doch Lancelot gab ihr keine Gelegenheit mehr, zu
antworten, sondern fuhr auf dem Absatz herum und stürmte aus dem Raum und die Treppe hinauf.
Iven weckte ihn am nächsten Morgen mit einem wahrhaft
königlichen Frühstück und den Worten, dass Sean ihn zu
sprechen wünsche, sobald er gegessen und sich angekleidet habe. Lancelot entließ den grauhaarigen Diener mit
einem stummen Kopfnicken, schlang das Frühstück mit
einer Hast hinunter, die der Mühe, die sich Iven bei der
Zubereitung all dieser Köstlichkeiten zweifellos unterzogen hatte, bitter Unrecht tat, und hüllte sich dann in seinen
eigenen zerschlissenen braunen Umhang, statt die königlichen Kleider anzuziehen, die man ihm am vergangenen
Abend gebracht hatte. Einen Moment lang war er versucht
die Rüstung anzulegen und vermutlich hätte er es sogar
getan, hätte er sich nicht ausmalen können, wie dieser Anblick auf Gwinneth wirken musste, vor allem nach ihrem
gestrigen Gespräch.
Er hatte noch lange wachgelegen und die Dunkelheit
über seinem Gesicht angestarrt, ohne sich über die Bedeutung dessen, was er in ihren Augen gelesen hatte, wirklich
klar zu werden. Aber vielleicht konnte er das gar nicht,
bevor er nicht mit sich selbst im Reinen war.
Er hatte jedes einzelne Wort, das er gestern Abend zu
Gwinneth gesagt hatte, bitterernst gemeint, doch in einem
Punkt hatte er die Unwahrheit gesagt, wenn auch ganz
bewusst: Er glaubte nicht, dass Morgaine gelogen hatte,
als sie ihm vom Fluch des Elbenschwertes erzählte, und er
glaubte auch nicht wirklich, dass sie sich geirrt hatte. Tief
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