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Runenschild

Titel: Runenschild Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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heute
werden zwanzig oder dreißig weitere Männer hier eintreffen – und sobald sich die Kunde von Lady Gwinneths
Rückkehr herumgesprochen hat, dürften es noch sehr viel
mehr werden.«
»Und Artus und sein Heer?« Lancelot sah fragend von
einem zum anderen. »Ich meine: Wisst ihr, wo er ist? Habt
ihr keine Kundschafter ausgesandt?«
»Drei sogar«, antwortete Sean grimmig. »Keiner von ihnen ist zurückgekehrt.«
»Also bleibt uns nichts anderes übrig als zu warten.«
Lancelot seufzte. »Das gefällt mir nicht.«
»Glaubst du etwa, uns?« Sean sprang wütend auf und
ballte die Faust. »Ich habe mich nie vor einem Kampf gefürchtet, nicht einmal wenn ich glaubte, ihn zu verlieren.
Aber ich hasse das untätige Herumsitzen und Warten. Fast
wünschte ich mir, sie wären bereits da. Lieber stehe ich
oben auf den Mauern und kämpfe, ehe ich hier herumsitze
und warte und weiß, dass es nichts gibt, was ich tun
kann.«
Aber vielleicht stimmte das nicht. Vielleicht, dachte
Lancelot, konnte er doch noch etwas tun. Auch wenn es
zugleich vielleicht nichts auf der Welt gab, wovor er sich
mehr fürchtete.
    Als hätten Seans Worte es heraufbeschworen, verstrichen
die nächsten beiden Tage auch für Lancelot in einem Gefühl quälender Hilflosigkeit, in das sich ein immer größer
werdender, aber zielloser Groll mischte, sodass er noch
launiger und reizbarer wurde als zuvor.
    Nicht nur Iven und der Rest der Dienerschaft, selbst
Sean und sein Bruder begannen ihm bald aus dem Wege
zu gehen, und auch Gwinneth sprach nur noch das aller
Notwendigste mit ihm, obwohl sich Lancelot in ihrer Gegenwart beherrschte und kein böses Wort über seine Lippen kam. Dennoch redete Gwinneth kaum – nicht nur mit
ihm, sondern überhaupt nicht –, aber am Abend, wenn sie
in seinem Arm einschlief, dann hörte er sie manchmal
leise weinen und es verging nicht eine Stunde, in der sie
nicht mindestens einmal von Albträumen und Angst geplagt aufwachte.
    Tagsüber strich Lancelot durch die Burg und inspizierte
die Vorbereitungen, die Sean und sein Bruder getroffen
hatten. Soweit er das überhaupt zu beurteilen imstande
war, hatten die beiden Iren Tintagel so gut auf eine Belagerung vorbereitet, wie es überhaupt möglich schien.
    Selbst angesichts der großen Anzahl von Menschen, die
sich nun auf der Burg aufhielt, reichten die Vorräte für
mindestens zwei Monate, vermutlich deutlich länger, es
gab nicht nur einen, sondern gleich zwei Brunnen, die für
frisches Wasser sorgten, und genug Baumaterial, um die
Burgmauern ein Dutzend Mal zu reparieren, sollten sie
beschädigt werden.
    Was ihnen fehlte, war Mut.
Seit ihrer Rückkehr aus Merlins Höhle hatte sich Tintagel nicht nur äußerlich verändert. Es schien jetzt das genaue Gegenteil der Festung zu sein, die sie bei ihrer Ankunft vorgefunden hatten: Damals war es eine nahezu verlassene Ruine gewesen, in der Moder und Kälte nisteten,
aber die Menschen, die hier lebten, hatten voller Zuversicht und Kraft in die Zukunft geblickt, denn allein Gwinneths Anwesenheit hatte ihnen die Kraft für einen neuen
Anfang gegeben, ein Ziel, auf das sie hinarbeiten und für
das sie leben und jede noch so große Entbehrung in Kauf
nehmen würden. Nun war Tintagel fast in seiner alten
Pracht und Größe wiedererstanden, aber die Augen der
Menschen, denen er begegnete, waren voller Angst. Sie
fürchteten die Zukunft, weil sie ahnten, was sie bringen
würde.
Ja, er konnte Gwinneth verstehen und er begriff auch,
warum sie sich jeden Abend in den Schlaf weinte und in
jeder Minute von Albträumen und Schrecken heimgesucht
wurde. Sie war hierher gekommen, um diesen Menschen
neue Hoffnung zu geben und ihnen den Weg in eine neue
und bessere Zukunft zu weisen. Was sie ihnen gebracht
hatte, war das genaue Gegenteil. Und auch wenn Lancelot
nicht müde wurde ihr zu versichern, dass es nicht ihre
Schuld sei – tief in sich wusste er doch, dass sie Recht
hatte.
Es war kurz vor Sonnenuntergang des dritten Tages nach
ihrer Rückkehr aus der Höhle des Zauberers, als Iven aufgeregt und kurzatmig in Gwinneths Kemenate platzte; so
sehr in Hast und außer sich, dass er nicht einmal anklopfte,
sondern die Tür aufriss und drei Schritte weit hereinstolperte, bevor er stehen blieb und abwechselnd Gwinneth
und ihn aus schreckgeweiteten Augen anstarrte. »Herr!«,
stammelte er. »Sie … Sean … Ihr müsst …«
»Beruhige dich.« Lancelot hob rasch die Hand. »Was ist
passiert?

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