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Runenschild

Titel: Runenschild Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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ersten Schatten
über die Erde. Nach Ivens Worten hatte er mit einer großen Truppe gerechnet – aber was dort anrückte, das musste nahezu Artus’ gesamte Armee sein. Lancelot war nie
besonders gut im Schätzen gewesen und die Entfernung
und das Licht waren auch zu schlecht dazu, doch ihre Zahl
musste in die Tausende gehen.
Nur ein einziges Mal hatte er ein größeres Heer gesehen,
als Mordreds Pikten vor Camelot aufmarschiert waren,
aber der Unterschied erschien ihm recht unbedeutend –
und die piktischen Horden waren trotz allem letztlich Barbaren, die mit mehr Wildheit und Kraft als mit taktischem
Verstand gegen die gewaltige und bestens gerüstete Festung Camelot angebrandet waren.
Obwohl er wusste, wie wichtig es war, dass gerade er
Zuversicht und Mut zeigte, blieb er endlose Sekunden lang
reglos neben dem Iren stehen und starrte mit unverhohlenem Entsetzen auf die näher rückende Armee.
»Was immer ihr Artus angetan habt, er scheint ziemlich
verärgert darüber zu sein«, stellte Sean fest.
Lancelot riss sich vom Anblick des näher kriechenden
tausendköpfigen Ungeheuers los und blickte dem Iren
irritiert ins Gesicht. »Was?«
Sean grinste, aber seine Augen blieben ernst. »Meinst du
nicht, dass es an der Zeit ist, mir die Wahrheit zu sagen,
mein junger Freund?«
»Was soll das?«, fragte Lancelot.
Plötzlich und vollkommen ohne Warnung wurde Sean
wütend. »Wenn ich schon sterben muss, dann will ich gerne wissen warum«, schnappte er. Er deutete aufgebracht
gestikulierend nach Osten. »Sag mir nicht, dass Artus diese Armee aufbietet, nur weil du ihm seine Frau weggenommen hast. Was hast du ihm wirklich angetan?«
»Ich schwöre dir, da war sonst nichts«, antwortete Lancelot. Aber war das die Wahrheit? Vielleicht war da ja
doch noch mehr und vielleicht hatte er dieses »mehr« bisher nur nicht begriffen, weil etwas in ihm gar nicht darüber nachdenken wollte .
»Wer sagt, dass du sterben musst?«, fuhr er in verändertem Ton fort. »Hast du mir nicht selbst versichert, wir
könnten jedem Angreifer standhalten in dieser Festung?«
Sean schnaubte. »Jedem Heer, von dem ich bislang gehört habe«, sagte er bitter. »Aber das da ist kein Heer. Es
ist …« Er suchte sichtlich nach Worten und schüttelte
schließlich nur den Kopf. »Es ist einfach unvorstellbar.«
Auch Lancelot hätte ihm vor wenigen Augenblicken
noch Recht gegeben. Er erwiderte nichts mehr auf die
Worte des Iren, sondern wandte sich nach Osten. Die näher kriechende grau-schwarze Masse schien sich kaum
sichtlich bewegt zu haben, aber das war eine Täuschung.
Die Hügel waren dort Meilen entfernt, und dass er die
Bewegung überhaupt wahrnahm, bedeutete, dass Artus’
Krieger im Eiltempo marschierten. Sie würden den Fuß
der Anhöhe, auf der Tintagel lag, noch vor Sonnenuntergang erreichen, wenn sie diese Geschwindigkeit beibehielten. Und wahrscheinlich, dachte er, werden sie uns überrennen, bevor die Sonne wieder aufgegangen ist.
Obwohl er weiter unverwandt nach Osten blickte, spürte
er, wie Sean ihn anstarrte – und nicht nur er. Lancelot ließ
noch eine geraume Weile verstreichen, aber dann drehte er
sich mit einem Ruck um und wandte sich dem erstbesten
Mann zu, der neben ihm stand. »Du da!«, sagte er herrisch. »Lauf nach unten und hol mein Pferd.«
    Er hatte die Schnelligkeit, mit der sich das Heer näherte,
trotz allem noch unterschätzt – als es zu dämmern begann,
da hatte die gewaltige Armee nicht nur den Fuß des Hügels bereits erreicht, sondern auch schon damit begonnen,
ein Lager aufzuschlagen, das sich gerade außerhalb der
Pfeilschussweite befand, in seiner Ausdehnung aber so
gewaltig war, dass der Blick nicht von einem Ende zum
anderen reichte. Erst als Lancelot – tief über den Hals des
Einhorns gebeugt, um sich unter dem nur halb hochgezogenen Fallgatter hindurchzubücken – die Burg verließ,
begriff er so richtig, welch gewaltiges Heer Artus zur Belagerung Tintagels aufgeboten hatte. Dass es in die Tausende ging, das hatte er schon auf den ersten Blick erkannt, aber wie viele Tausend es waren, das erschreckte
ihn mit jedem Moment mehr.
    Nicht einmal bei der Belagerung Camelots hatte Artus so
viele Männer unter Waffen gehabt. Er schien buchstäblich
jeden Mann, der auch nur im Entferntesten in der Lage
war, ein Schwert zu führen, um seine Fahne geschart zu
haben. Und das alles nur, um Gwinneth zurückzuholen
und ihn für seinen vermeintlichen Verrat zur Rechenschaft
zu

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