Runenschild
sein.«
»Was willst du damit sagen?«, fragte Lancelot.
Sean zog eine Grimasse und seiner Meinung nach war
das wohl Antwort genug, denn er beließ es dabei. Lancelot
wartete einige Augenblicke vergeblich und setzte dann zu
einer scharfen Entgegnung an, doch Gwinneth kam ihm
zuvor.
»Also haben wir den Krieg auch hierher gebracht«, flüsterte sie.
Es waren nicht ihre Worte, die Lancelot erschrocken herumfahren und sie alarmiert ansehen ließen, sondern vielmehr die Art, wie sie sie aussprach. Im ersten Moment
dachte er, Gwinneth blicke ihn an, dann aber wurde ihm
klar, dass ihre Augen leer waren und ihr Blick geradewegs
durch ihn hindurch ins Nirgendwo ging.
»Verzeiht, Mylady«, sagte Sean, »aber das ist Unsinn.
Nicht Ihr habt uns angegriffen, sondern Artus’ Heer.«
»Aber ich bin der Grund, warum es vor den Toren der
Burg aufmarschiert ist«, widersprach Gwinneth. Ihr Gesicht war ebenso leer wie ihr Blick, doch Lancelot spürte
deutlich, dass sie nur mit letzter Mühe die Tränen zurückhielt. »Hätte sich meine Anwesenheit in Tintagel nicht
herumgesprochen, wäre es niemals zu diesem Ultimatum
gekommen.« Sie ballte die Hände zu Fäusten. »Ich wollte
doch nur … nur nach Hause. Und ich dachte, ich könnte
den Menschen in diesem Landstrich ein wenig von dem
Frieden und Wohlstand zurückbringen, wie sie ihn unter
Uthers Herrschaft gewöhnt waren.«
»Aber das habt Ihr, Mylady«, sagte Sean.
Gwinneth schien seine Worte gar nicht zu hören. »Stattdessen habe ich ihnen den Untergang gebracht«, flüsterte
sie. »Artus wird …«
»… sich eine blutige Nase holen, wenn er glaubt leichtes
Spiel mit uns zu haben«, unterbrach sie Sean. Er schüttelte
so heftig den Kopf, dass sein Haar flog. »Mit Verlaub,
Mylady, aber ich glaube, Ihr überschätzt Euch. Ich weiß
nicht viel über König Artus, doch ein so mächtiger und
einflussreicher Mann kann kein Dummkopf sein. Und nur
ein vollkommener Dummkopf würde ein Heer quer durch
ein ganzes Land schicken – noch dazu im Winter und mitten in einem Krieg – nur um eine Frau zurückzuholen, die
ihm weggelaufen ist.«
Lancelot war nicht sicher, was er von diesen Worten halten sollte. Im ersten Moment ärgerte er sich nur maßlos
über sie, denn sie waren selbst bei wohlwollender Betrachtung nichts anderes als eine Beleidigung Gwinneths. Aber
noch bevor er wirklich wütend werden konnte, begriff er
auch, dass Sean diese Worte ganz bewusst gewählt hatte.
Er wollte Gwinneth keineswegs vor den Kopf stoßen, sondern sie vielmehr davon abhalten, sich selbst noch weiterzuquälen. Selbst wenn er vielleicht insgeheim ganz genau
wusste, dass sie Recht hatte.
Gegen seine Überzeugung, aber nichtsdestoweniger in
sehr überzeugtem Ton sagte er: »Sean hat Recht, Gwinneth. Artus’ Liebe zu dir mag so groß sein wie sein Hass
auf mich, doch er ist kein Dummkopf. Und selbst wenn er
es wäre – die Ritter, Barone und Könige, die an seiner
Seite kämpfen, würden ihr Blut nicht vergießen, nur um
seinen Rachedurst zu stillen.« Er schüttelte den Kopf und
warf Sean einen fast beschwörenden Blick zu, als er dessen überraschtes Stirnrunzeln bemerkte; offensichtlich
hatte der Ire nicht damit gerechnet, dass ausgerechnet
Lancelot ihm beisprang. »Wenn er Tintagel angreifen
lässt, dann nur, weil es sowieso in seine Pläne passt.
Cornwall ist von großem strategischem Wert – noch dazu,
wenn der Krieg wirklich so schlecht verläuft, wie man
hört.«
»Wer Tintagel beherrscht, der beherrscht die gesamte
Westküste in Südbritannien«, stimmte ihm Patrick zu.
»Lancelot und mein Bruder haben Recht, Mylady: Artus’ Heer wäre sowieso hier aufmarschiert. Möglicherweise noch nicht jetzt. Vielleicht in einem halben Jahr oder
einem ganzen, aber glaubt mir, er wäre gekommen.«
Ihr wisst, dass das nicht stimmt, sagte Gwinneths Blick.
Sie sprach diesen Gedanken nicht aus, doch irgendwie war
es, als hörten sie alle ihre Worte trotzdem. Eine quälende
Ewigkeit verging, in der niemand ein Wort sprach, dann
erhob sich Gwinneth, drehte sich niedergeschlagen und
mit hängenden Schultern um und ging.
Ganz automatisch wollte Lancelot aufstehen und ihr folgen, aber er führte die Bewegung nicht einmal halb zu
Ende, sondern ließ sich wieder auf seinen Stuhl zurücksinken und sah ihr traurig nach, wie sie mit so mühsamen,
schleppenden Schritten, als trüge sie eine unsichtbare
Zentnerlast auf den Schultern, die Treppe hinaufging.
»Es tut mir Leid, dass
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