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Runenschild

Titel: Runenschild Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Schickt dich Sean?«
Iven nickte. Er zitterte am ganzen Leib und sein Atem
ging so schnell, dass Lancelot ernsthaft befürchtete, er
könne im nächsten Moment zusammenbrechen. Er musste
den ganzen Weg vom Burghof bis hier herauf gerannt
sein, eine Anstrengung, die selbst einen Mann von weit
weniger Jahren an den Rand des Zusammenbruchs gebracht hätte. »Die … Ritter …«
»Artus?«
»Ein Heer«, brachte Iven mühsam hervor. »Ein … gewaltiges Heer. Die … sie sind gerade auf den Hügeln im
Osten aufgetaucht, und …« Seine Stimme versagte ihm
endgültig den Dienst. Er begann noch stärker zu zittern
und musste die Hand ausstrecken, um sich an der offenen
Tür festzuhalten, sonst wäre er gestürzt. Aber Lancelot
hatte genug gehört.
»Und Sean hat dich geschickt um mich zu holen«, vermutete er. Iven nickte nur – zum Sprechen fehlte ihm die
Kraft – und Lancelot streifte mit einer entschlossenen Bewegung den roten Königsmantel ab, den er trotz des hochlodernden Kaminfeuers auch hier drinnen trug, und schoss
die Stiefel achtlos in eine Ecke. »Geh zu ihm und sage,
dass ich so schnell wie möglich komme.«
Iven nickte und wollte sich auf der Stelle umdrehen, aber
die Bewegung war offensichtlich zu viel für ihn. Er strauchelte, fiel schwer auf ein Knie hinab und gab einen leisen, wimmernden Schmerzenslaut von sich. Sofort sprang
Gwinneth auf und eilte zu ihm, doch Iven wehrte ihre hilfreich ausgestreckte Hand ab und kämpfte sich mühsam auf
die Beine. Er schwankte wie das sprichwörtliche Schilfrohr im Sturm, und als er einen mühsamen Schritt in Richtung Tür machte, wäre er um ein Haar wieder gestürzt.
»Oder nein, lass es«, sagte Lancelot, während er bereits
aus der Hose schlüpfte. »Setz dich an den Kamin und ruh
dich aus.«
»Aber Herr!«, protestierte Iven.
»Ich wünsche es«, sagte Lancelot streng. »Niemand hat
etwas davon, wenn dich auf dem Weg nach unten der
Schlag trifft. Außerdem bin ich vermutlich ohnehin
schneller als du.«
Gwinneth warf ihm einen anklagenden Blick zu, den
Lancelot aber ebenso ignorierte wie das erleichterte Seufzen des alten Dieners. Ohne noch ein weiteres Wort zu
verschwenden begann Lancelot seine Rüstung anzulegen.
Gwinneth sah ihm schweigend dabei zu, doch als er
schließlich den Schwertgurt umband und an den Kamin
trat um die Runenklinge vom Sims zu nehmen, schlug sie
erschrocken die Hand vor den Mund.
»Keine Sorge«, sagte Lancelot. »Ich habe nicht vor sie
zu benutzen.«
»Warum nimmst du sie dann mit?«, fragte Gwinneth.
Es fiel ihm schwer, aber irgendwie gelang es ihm, ein
verschwörerisches Grinsen auf seine Lippen zu zaubern.
»Ich habe auch nicht vor Artus auf die Nase zu binden,
dass ich es nicht ziehen will.«
Gwinneths Blick wurde anklagend. Sie sagte nichts.
Lancelot ließ ihr auch ganz bewusst nicht genug Zeit,
um etwa doch noch einen Einwand vorzubringen, sondern
rammte das Schwert in die Scheide und stürmte mit weit
ausgreifenden Schritten aus der Kemenate.
Nur wenige Augenblicke später hatte er die Treppe hinter sich gebracht, durchquerte die Halle und stürmte auf
den Hof hinaus.
Tintagel war in heller Aufregung. Wohin er auch blickte,
sah er rennende Menschen, die scheinbar kopflos durcheinander liefen, und es war nicht ein Gesicht dabei, auf
dem sich nicht Angst und Bestürzung widergespiegelt
hätte. Das Fallgatter vor dem Tor war heruntergelassen
und gerade als Lancelot auf den Hof hinaustrat, schlossen
vier Männer mit vereinten Kräften das gewaltige, zweigeteilte Tor und legten einen schweren Riegel vor. Hinter
den Zinnen der Wehrmauer, hinter denen normalerweise
nur ein oder höchstens zwei Wächter patrouillierten, drängelten sich jetzt zwei, wenn nicht drei oder gar vier Dutzend Bewaffnete, und nach kurzem Suchen entdeckte
Lancelot auch Seans hünenhafte Gestalt zwischen ihnen.
So schnell er konnte, eilte er die Treppe hinauf und zu
dem Iren hin.
»Lancelot!«, begrüßte ihn Sean. »Gut, dass du kommst.
Sie sind da.«
Natürlich hatte Lancelot das heranrückende Heer bereits
gesehen – und obwohl er auf den Anblick vorbereitet gewesen war, jagte er ihm einen eisigen Schauer über den
Rücken. Plötzlich konnte er das Entsetzen, das er in Ivens
Augen gelesen hatte, besser verstehen.
Es war nicht wirklich ein Heer, das sich über die verschneiten Hügel im Osten schob, sondern eine gewaltige,
brodelnde grau-schwarze Masse, als wäre die Nacht vor
der Zeit hereingebrochen und werfe ihre

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