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Runenschild

Titel: Runenschild Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Wirklichkeit zu
verlieren und in einen Abgrund aus bodenloser Schwärze
zu stürzen.
»Wir sind das Alte Volk«, antwortete Merlin.
Seine Gestalt schien zu flackern, als bestünde sie aus
nichts anderem als flüchtigem Rauch, der sich zum Abbild
eines Menschen geformt hatte, und wurde im nächsten
Moment wieder real. »Wir waren hier, bevor es Menschen
gab, und wir werden noch hier sein, wenn sie längst vergessen sind. Einst hat diese Welt uns gehört und wir haben
sie von einem Ufer des großen Ozeans zum anderen beherrscht. Unsere Herrschaft währte Äonen und wir wurden
alt und weise – und dabei auch hochmütig. Und irgendwann kamen die Menschen. Am Anfang waren sie für uns
nicht mehr als Tiere, Schoßhunde, die wir zu unserem
Vergnügen hielten, um uns an ihren Kunststücken zu erfreuen. Aber sie wuchsen heran und sie wurden stärker,
und es kam der Moment, in dem wir in ihnen das erkannten, was wir einst gewesen sind, vor so unendlich langer
Zeit. Und so fingen wir an uns aus dieser Welt zurückzuziehen, um sie einem jüngeren, wilderen Volk zu überlassen.«
»Vielleicht nicht ganz«, vermutete Lancelot. Er wollte es
nicht, doch seine Stimme klang bitter.
»Sie waren jung und stark und wild, aber sie waren auch
dumm und unbeherrscht«, bestätigte Merlin. »Sie brauchten Führung oder sie hätten sich selbst ausgelöscht. Unser
Volk lebt jetzt in einer anderen Welt. Manche Menschen
erinnern sich noch an uns und für eine Weile werden wir
vielleicht auch in ihrem Mythen und Legenden weiterleben. Aber irgendwann werden sie uns vergessen haben.«
Er lächelte traurig. »Wer weiß, vielleicht hören wir in diesem Moment auch wirklich auf zu existieren. Vielleicht ist
die Erinnerung der Menschen der einzige Grund, aus dem
es uns noch gibt.«
»Und deshalb gibt es Männer wie Artus und Mordred«,
sagte Lancelot bitter. »Und mich.«
»Du darfst uns nicht verurteilen, mein junger Freund«,
sagte Merlin. »Es ist leicht, hinterher auf Fehler zu deuten
und ein Urteil zu fällen. Wir mussten die Menschen beschützen, solange sie jung und unerfahren waren. Der
Verstand, der ihnen gegeben wurde, mag noch ungeschliffen und grob gewesen sein, aber er ist eine gewaltige Waffe.« Er schüttelte den Kopf. »Würdest du einem Kind ein
scharfes Schwert in die Hand drücken?«
Statt zu antworten blickte Lancelot auf das Runenschwert in seinem Gürtel hinab und Merlins Blick wurde
noch trauriger.
»Irgendwann erkannten wir, dass die Menschen weiter
eine starke Führung brauchen«, fuhr Merlin fort, in leicht
verändertem Ton und etwas lauter, so als erinnere er sich
an einen zurechtgelegten Text und versuche ihn vorzutragen, bevor ihm dazu die Kraft fehlte. »Aber unsere Macht
in dieser Welt schwand im gleichen Maße, in dem die
Menschen aufhörten an uns zu glauben. Und so brachten
wir dann und wann ein einzelnes neugeborenes Kind in
diese Welt und legten es ans Ufer eines Sees, wo es von
Menschen gefunden und aufgezogen werden konnte.«
»Also so sind wir hierher gekommen«, murmelte Lancelot. Er lachte bitter. »Und wer sind unsere Eltern?«
Er las die Antwort in Merlins Augen, aber der Zauberer
schüttelte trotzdem nur den Kopf und fuhr fort ohne seine
Frage zu beantworten: »Artus gehörte zu ihnen, ihr, aber
auch andere. Manche wissen bis heute nichts von ihrer
wahren Natur und werden es nie erfahren. Andere haben
es erfahren und sind daran zerbrochen. Es gehört zur Natur
der Magie, die dieses Tor erschuf, dass der Weg hindurch
für den, der sich seiner wahren Natur bewusst ist, ein Weg
ohne Wiederkehr ist.«
»Also darum konnte ich zurück«, sagte Lancelot. »Weil
ich es nicht wusste.«
»Und deshalb könnt ihr es jetzt noch einmal durchschreiten und nie mehr zurückkehren«, bestätigte Merlin. »So
wenig, wie sich dieses Tor jemals wieder für euch öffnen
wird, wenn ihr ihm jetzt den Rücken kehrt. Es tut mir
Leid. Es ist eine grausame Entscheidung, die ich von euch
fordere, aber ich habe keine Wahl.«
»Hat Artus diese Wahl auch getroffen?«, fragte Lancelot.
»Für jeden von uns kommt der Moment, in dem er sie
treffen muss«, antwortete Merlin. »Auch für mich.«
»Doch warum bekämpfen wir uns?«, fragte Gwinneth.
»Wieso versucht Morgaine Artus zu vernichten, wenn wir
doch alle vom gleichen Volk sind?«
Merlin lächelte sanft, als er antwortete: »Das ist eine gute Frage, mein Kind. Unser Volk ist vielleicht älter als die
Menschen, vielleicht sind wir auch ein

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