Runlandsaga - Die Schicksalsfestung
Todesangst. Nie zuvor in seinem Leben war er Zeuge eines derart mächtigen Zaubers gewesen, wie ihn diese Echsenwesen gerade webten. Noch hielt die unsichtbare Kuppel dem Gewicht stand, das auf sie einwirkte, doch wie lange noch?
Eine Hand berührte seine, schuppig und kühl, doch er war zu geschwächt, um zurückzuzucken. Im Gegensatz zu der gelben Haut der anderen Krieger schimmerte diese im fahlen Morgenlicht rötlich. Ein ebenfalls rotes Gesicht sah ihn angespannt aus den Schatten einer tief ins Gesicht gezogenen Kapuze an.
Keine Angst! Ich bin ein Freund«, sprach eine Stimme in seinem Geist. Gleichzeitig mit diesen Worten und der Berührung durch die Hand des Serephin ließ der schwere Druck auf seine Brust ein wenig nach, und er bekam wieder mehr Luft.
Manari bewegte Ranárs Lippen schneller und schneller. Seine Arme waren weit nach vorne ausgestreckt. Die unsichtbare Halbkugel hatte sich inzwischen völlig über den Serephin geschlossen. Von allen Seiten rollten die Wassermassen des sich erhebenden Sumpfes heran und warfen sich donnernd gegen die Barriere, die sie nicht überwinden konnten. Aus ihrer dunklen Tiefe schoss ein bläulich schimmernder Schatten hervor, der schnell an klarer Form und Größe zunahm. Es war ein gewaltiger Lindwurm wie eine riesige Schlange. Die Schwingen in der Mitte seines langgezogenen Körpers bewegten sich geschmeidig auf und ab und beschleunigten sein schier pfeilschnelles Vorankommen auf die Geschwindigkeit einer Flutwelle. Er warf sich mit der vollen Wucht seines Körpers gegen die unsichtbare Halbkugel, dass es dröhnte wie im Inneren einer gusseisernen Glocke. Die Serephin schwankten, einige schrien laut auf vor Schmerzen. Ihre Bewegungen, um den schützenden Zauber aufrechtzuerhalten, gerieten ins Stocken. Siegesgewiss gähnte der weit geöffnete Rachen der blauen Schlange dicht über den Kriegern, die Zähne gleich Spießen gebleckt, bevor sie zurückzuckte, um sich erneut gegen das Hindernis zu stürzen.
Der Wächterdrache hatte sich endlich gezeigt.
Die Tage des Rilldansees, dessen Gebiet einst größer als die Seen von Aligonyar gewesen war, hatten schon lange ihren Platz im Reich der Legenden eingenommen. Die Scharen von Reihern, die an seinen Gestaden brüteten und den Himmel verdunkelten, wenn sie gemeinsam über dem Wasser aufstiegen, waren ebenso verschwunden wie der ursprüngliche Verlauf seiner Ufer. Doch die weitläufige Moorlandschaft der Hochebene von Tool war noch immer das Reich des Wassers. Hier war er heimisch gewesen, seitdem die Magie der Endarin ihm Leben eingehaucht hatte, der Wächter jenes Elementes, das zu allen Zeiten unbeständig und täuschend erschien. Dennoch beherbergte es in seinen unergründlichen Tiefen vor allem eines, den Mut, sich jedem Leid zu stellen, da die wandelbare Oberfläche des Wassers immer wieder nur ein wechselndes Abbild jener einen letzten Angst war, der alle anderen entsprangen – der Furcht vor dem eigenen Ende. Wann immer die Völker von Runland allen Mut benötigt hatten, den beängstigenden Veränderungen ihrer Zeit ins Antlitz zu sehen, wann immer sie am Rand der Vernichtung gestanden und in den Abgrund geblickt hatten, war es die Kraft jenes Wächters gewesen, die sie an ihre eigene innere Kraft gemahnt und sie bestärkt hatte, Tapferkeit zu zeigen – die Tapferkeit, für ihre Überzeugungen zu kämpfen, aber auch dafür, die Waffen niederzulegen und den Frieden zu wagen.
Da riss Ranár seine Augen auf, und ein eisiges Licht von derselben Farbe wie die Augen des Priesters, dessen Körper Manari gehörte, glühte zwischen seinen Händen auf. Ein gleißender Blitz schoss von ihm fort, durchbrach die schützende Barriere, ohne langsamer zu werden, und traf den Wasserdrachen mit voller Wucht an der Brust. Der Körper des riesigen Lindwurms leuchtete in einem blendenden blauem Licht auf, für einen Lidschlag wurde es um ihn herum taghell. Seine ausgebreiteten Schwingen froren in ihrer Bewegung ein, und sein Maul öffnete sich zu einem Grollen. Dann stürzte er tödlich getroffen auf die unsichtbare Kuppel herab. Mit einem donnernden Schlag durchbrach er die magische Barriere. Die Serephinkrieger sprangen zur Seite, um nicht von ihm erschlagen zu werden. Dennoch begrub er zwei von ihnen unter sich, als er wie ein vom Himmel fallender Stern zwischen sie stürzte. Er hatte kaum den Boden berührt, als ein ohrenbetäubendes Rauschen einsetzte. Von allen Seiten stürmten die entfesselten Wassermassen der Toolmoore auf
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