Runlandsaga - Die Schicksalsfestung
würde dir zu gerne deinen Schädel abschlagen, um ihn hoch über die Zinnen zu schleudern. Dann könnten deine verräterischen Temariliebhaber da draußen ein wenig Ball mit ihm spielen. Aber leider will Jenasar euch erst noch über den Plan der Abtrünnigen befragen.«
Seine Augen wanderten zu dem Fass mit den Äpfeln, hinter denen sich Enris versteckt hielt. »Komm aus deiner Deckung heraus! Denkst du, ich hätte dich nicht gesehen? Du beleidigst mich, Temari!«
Langsam erhob sich Enris und trat dem Serephin entgegen. Der Krieger musterte ihn, während der junge Mann unverwandt zurückblickte. Die Augen des Serephin verengten sich zornig. »Sieh mich gefälligst nicht so frech an!«, donnerte er.
»Oder was?«, gab Enris zurück. »Willst du mich dann töten? Das würde diesem Jenasar bestimmt nicht gefallen.«
»Reiz ihn nicht, du Schwachkopf«, murmelte Sareth verzweifelt, ohne es zu wagen, sich umzudrehen. Der Serephin trat nah an Enris heran. Der junge Mann spürte, wie ihn eine Welle von Hass traf, ein heißer Windstoß, der mit dem brennenden Blick des Kriegers beinahe schmerzhaft über seine Haut fuhr.
»Ihr dreckigen Temari werdet für meine beiden toten Brüder bezahlen, verlasst euch darauf! Wenn Jenasar mit euch fertig ist, sprechen wir uns wieder. Und jetzt beweg dich.«
Enris biss sich auf die Unterlippe. Eben noch hatte er vor diesem Serephin Todesangst ausgestanden, wenn er auch bemüht gewesen war, es sich nicht anmerken zu lassen. Aber nun war er nur noch wütend. Zornig straffte er sich. Für einen Moment schien er den Serephin, der unwillkürlich überrascht blinzelte, tatsächlich zu überragen.
»Deine toten Brüder haben geerntet, was sie gesät haben«, herrschte er den Krieger an. »Verschwindet aus unserem Land – oder sterbt!«
Der Serephin stieß einen unterdrückten Schrei aus und schlug Enris so fest mit der Faust ins Gesicht, dass der junge Mann quer durch den Raum flog und hart gegen eine der Kisten prallte. Sareth keuchte auf, als der Krieger ihn hart in den Rücken stieß. »Steh nicht herum wie ein Standbild! Vorwärts!«
Nur mühsam gelang es Enris, wieder auf die Beine zu kommen. Er hatte das Gefühl, mit einem durchgehenden Stier zusammengestoßen zu sein. Seine rechte Wange brannte wie Feuer. Aber dennoch tat es ihm nicht leid, dass er den Krieger gereizt hatte. Er hatte für sich selbst eine Linie in den Sand gezogen, und er würde nie wieder hinter diese Grenze zurücktreten, um sich in ihrer Sicherheit zu verstecken. Wenn Cyrandith als Preis dafür seinen Tod verlangen mochte, dann sollte sie ihn eben bekommen. Es kümmerte ihn nicht mehr.
30
Vor Neria lag ein langer, schmaler Gang, der sich geradeaus erstreckte, so weit sie sehen konnte. Die Wände des Gangs bestanden aus dem gleichen graugrünen Gestein, das sie bereits von außen gesehen hatte. Aber hier, im Inneren von Carn Wyryn, hatten sie jeden Anschein von Durchsichtigkeit verloren. Massiv und glatt reckten sie sich zu beiden Seiten von Neria in eine Höhe, in die das matte Licht des Gangs nicht mehr hinaufreichte und sich weit oben in der Dunkelheit verlor. Neria fühlte sich zwischen diesen Wänden wie zur Größe eines Kindes geschrumpft. Alle Helligkeit ging vom Boden aus, der aus demselben Stein wie die Wände gehauen war, aber leuchtete, als wäre er eben noch glühend aus seinem Ofen genommen worden.
Neria fiel auf, dass sie immer noch dieselben Kleider anhatte, die sie von den Dunkelelfen erhalten hatte, und die sie zuletzt auf der Suvare getragen hatte. Auf eine merkwürdige Weise beruhigte sie der Anblick der rotbraunen Tunika, die sie unter ihrem dicken Fellmantel aus der Piratenhöhle von Irteca trug. Mit dieser Tunika war sie in der Vergangenheit gewesen, in einer Welt weit fort von Runland. Irgendwie würde sie auch diesen Ort meistern. Sie streifte den Mantel ab und drehte sich um. Das Tor, das sie eben durchquert hatte, ohne dass dieses sich geöffnet hatte, war verschwunden. Der Gang endete hinter der Voronfrau mit einer weiteren glatten Wand.
Da ihr nichts anderes übrig blieb, als geradeaus in die andere Richtung und damit tiefer hinein in die Festung zu gehen, setzte sich Neria in Bewegung. Ihre Stiefel klackten laut auf dem steinernen Boden, das einzige Geräusch, das sie für eine lange Zeit begleitete. Der Weg vor ihr verlief weiter schnurgeradeaus, weswegen sie bald das unheimliche Gefühl überfiel, dass sie nicht von der Stelle kam, sondern wie in einem Alptraum lief und lief
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