Runlandsaga - Die Schicksalsfestung
Leben als Serephin. Es war ein ziemlicher Schock, das kannst du mir glauben! Ich wusste wieder, warum ich die Schicksalsfestung aufgesucht hatte. An diesem Ort entschloss ich mich, das Leben eines Menschen zu leben. Wir hatten immer vorgehabt, euch zu lehren und eure Entwicklung zu fördern, damit ihr eines Tages die Prophezeiung erfüllen und die Herren des Chaos zurückbringen würdet. Aber wir begingen Fehler. So viele Fehler.«
Betrübt senkte der Mann, der Oláran gewesen war, seine Stimme. Neria meinte, ihren Ohren nicht trauen zu können.
»Wir verstanden euch einfach nicht. Für viele meines Volkes wart ihr nicht mehr als ein Werkzeug für ihre Pläne. Aber ich wollte mehr. Ich war mir sicher, ich würde eurem Volk erst dann ein guter Lehrer sein, wenn ich begreifen würde, was es bedeutet, ein Mensch zu sein. Also kam ich hierher, wie ich es schon einmal getan hatte, als ich die Träumende um Rat gefragt und erfahren hatte, dass eure Vorfahren nach Runland kommen würden. Ich bat Cyrandith, ein Leben als einer eures Volkes führen zu können. So wurde ich zu Margon.«
Neria glaubte, sich endlich wieder soweit gefasst zu haben, dass sie eine halbwegs vernünftige Frage stellen können würde. »Und Ihr habt Euch während Eures menschlichen Lebens nicht daran erinnert, wer Ihr tatsächlich wart?«
Der Magier schüttelte den Kopf. »Den Teil meines Selbst, der meine Erinnerungen als Serephin enthielt, entwickelte ein eigenes Leben. Als ein Wesen namens Myrddin, mit dem ich in Visionen sprach, wollte er mich langsam darauf vorbereiten, mich wieder an mein wahres Ich zu erinnern. Doch ich starb, bevor es soweit war, dass ich mich vollends an mein Leben als Oláran erinnern konnte.«
Neria runzelte nachdenklich die Stirn. »Und warum seid Ihr immer noch an diesem Ort? Könnt Ihr ihn nicht verlassen?«
»Es war meine eigene Unentschlossenheit, die mich hier lange festhielt«, gestand Margon bitter. »Als ich in Cyrandiths Thronsaal erfuhr, wer ich tatsächlich war, da packte mich eine so brennendes Heimweh nach Vovinadhár, dass ich glaubte, mein Herz müsse zerspringen, wenn ich nicht sofort zurückkehrte. An diesem Ort hätte ich meine Heimreise beginnen können. Ich wäre erneut als Serephin wiedergeboren worden. Aber etwas ließ mich zögern.«
Wie um zu untermauern, was er eben gesagt hatte, hielt er kurz inne, bevor er weitersprach. »Und so verließ ich den Thronsaal und ging wieder zurück in diesen Irrgarten, hin- und hergerissen zwischen Vovinadhár und Runland, zwischen meiner alten Heimat und meiner neuen.«
Der Magier nahm Nerias Hand in seine beiden alten, faltigen Hände. Für einen Moment war die Voronfrau versucht, sie fortzuziehen. Sie hatte noch nie Berührungen von anderen gemocht, vor allem nicht von Wesen, die nicht zum Volk der Voron gehörten. Enris war bisher die einzige Ausnahme gewesen. Doch die Berührung dieses alten Mannes ertrug sie gerne, sie mochte sie sogar. Etwas Weiches, aber dennoch Bestimmtes ging von ihm aus, eine sanfte Unerbittlichkeit, die sie an die Hand der Natur selbst erinnerte, wie sie ihr Zuhause, den Wald, im wechselnden Lauf der Jahreszeiten formte und veränderte.
»Ich danke dir, Neria«, vernahm sie jenseits ihrer dahinziehenden Gedanken Margons feste Stimme. »Während meines langen Zögerns verblasste mein altes Leben in Runland bereits. Allmählich freute ich mich darauf, wieder Oláran zu sein. Als wir uns trafen, war ich endlich bereit dazu, dieser Welt den Rücken zu kehren. Aber als du mir von dir und deinem Auftrag erzählt hast, da habe ich mich wieder angefangen zu erinnern. Ich habe während meines langen Lebens eine Menge über euch Menschen gelernt – oh ja, und ich nehme dabei Voron wie dich nicht aus, denn ihr seid euch in vielen Dingen ähnlicher, als ihr es gern zugeben würdet.«
»Da hört ihr keinen Widerspruch von mir«, sagte Neria freundlich.
»Ich beobachtete euch dabei, wie ihr eurem Tagwerk nachgingt«, fuhr Margon unbeirrt fort. »Ich sah euch dabei zu, mit wie viel schlichter Würde ihr es hinnahmt, dass ihr schon nach wenigen Jahren diese Welt wieder verlassen würdet. Bei so vielen Unternehmungen war euch bewusst, dass allenfalls die Kinder eurer Kindeskinder deren Früchte ernten würden. Dennoch stelltet ihr euch diesen Herausforderungen. Im Angesicht der eigenen Sterblichkeit etwas Bleibendes zu erschaffen, erfordert eine Form von Tapferkeit, die den größten Kriegern der Unsterblichen um nichts nachsteht.«
Er hielt
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